Therapie als Krampf und Kampf

Foto: Robert Sennecke, 1935

Foto: Robert Sennecke, 1935

Nachdem ich in 2016 bei etwa einem Dutzend Therapeuten probatorische Stunden absolviert hatte, entschied ich mich, Ende November meine Traumatherapie bei einer analytischen Psychotherapeutin (HK) fortzusetzen, die zudem auf die Methoden der bioenergetischen Traumatherapie (TRE) nach David Berceli und Alexander Lowen – den sie noch persönlich kennengelernt hatte – setzte. Nun die TRE war es sicher nicht, warum ich mich für sie entschied. Vielmehr war es eine Art seelenverwandter Weltauffassung und nicht zuletzt meine wachsende Abneigung noch weitere probatorische Sitzungen durchzustehen. Doch nach wenigen Stunden entschied ich mich, die Zusammenarbeit mit dieser Therapeutin zu beenden. Der nachstehende Bericht ist ein Beispiel mehr, wie schwierig es ist, nicht nur den passenden, sondern auch den qualifizierten Therapeuten zu finden.

1. Runde: Tändeln, Täuschen, Testen

Bei HK geht es zu Beginn einmal um Tinte, wie in der Stunde zuvor. Der Tintentropfen entfaltet sich in einer konischen Glasschale und zeichnet wechselnde Bilder. Das Gespräch verunsichert mich dennoch, da ich keine Struktur erkenne. Ich sage es und frage nach der Methode, nach der sie vorgehen, respektive wie sie die Therapie strukturieren möchte. Was denn die anderen Therapeuten anders gemacht hätten, will HK wissen. Sie wären konkreter in der Erkundung meiner Zustände und meines Status gewesen, gebe ich zur Antwort. Sie wechselt die Gesichtsfarbe und kommentiert fragend, sie sind also so Schritt für Schritt vorgegangen. (ich) Nein so nicht, sie waren aber direkter mit meiner Geschichte verbunden.

Ja, vor HK, arbeiteten wir uns in die Geschichte hinein und betrachteten ihre Auswirkungen in meinem Alltag. Bei ihr fehlt mir jedenfalls ein erkennbares Konzept, außer dass ich bislang nur weiß, dass sie irgendwie erden möchte. Mich? Sich? Oder ihr Schema? Es bleibt noch diffus. Mal sehen, wie es weitergeht; was sich herauskristallisiert. Jedenfalls kommen wir (ich) über ihre Nachfrage, was ich denn erwarte, darauf zu sprechen, wie ich aufgestellt bin, woran ich leide, von welcher Art mein Schmerz ist, die Albträume, die Intrusionen, die Flashbacks.

Zum Abschied komme ich auf den Farbwechsel in ihrem Gesicht zu sprechen und erkunde mich, ob sie sich den von mir angebufft fühle. Wenn es so wäre, war es jedenfalls nicht meine Absicht gewesen.

2. Runde: Erster Schlagabtausch

Ja, sie war angebufft. Offensichtlich habe ich noch keine Ahnung von den Subtilitäten psychoanalytischer Therapie. Jedenfalls erklärte mir HK, nachdem sie mir ihren Unmut über meine Penetranz, die Struktur ihres therapeutischen Vorgehens ergründen zu wollen, mitgeteilt hatte, dass es in der analytischen Therapie um Übertragung und Gegenübertragung ginge. Was soviel bedeute, dass sich in der therapeutischen Arbeit zu den Fakten auch die Empfindungen hinzugesellen würden. Nun, das war bislang kaum anders, doch soll es von nun an noch intensiver werden, wobei auch die Empfindungen des Therapeuten als explorierender sowie diskursiver Moment hinzukommen würden. Was, so meine stille Einschätzung, durchaus spannend und weiterführend sein könne. Jedenfalls war es ein etwas harscher Empfang am Mittwoch. Den ich sogleich so kommentierte, dass jemand anderes wohl schon heulend hinausgelaufen wäre.

Letztlich ranzte HK wegen meines Misstrauens; denn so ordnete sie mein Fragen nach ihren Methoden ein. Da habe ich nun schon vier Jahre Therapie hinter mir und sei immer noch misstrauisch, was das Vorgehen und die Effektivität angeht; möchte alles unter Kontrolle behalten. Nun, ich sehe es nicht so spezifisch, aber misstrauisch bin ich gewiss, schließlich möchte ich keinesfalls wieder so ein belanglos trübes Fischen wie es beim ersten Psychologen ablief. Jedenfalls will ich den Therapiefortschritt nicht mehr vermeiden, sondern sehne ihn herbei.

Misstrauisch sei ich. Ja, bin ich, und andererseits bin ich auch vertrauensselig. Andernfalls hätte ich mich auf HK nicht eingelassen. Ich vertraue darauf, dass wir ins Arbeiten kommen. Es scheint mir ohnehin, nach ihrem leichten Grant, dass sie die gestellte Herausforderung annehmen wird. Ich bin bereit, mich mit mir ihr zu zanken und voranzuschreiten. Okay, die Spielregeln einer analytischen Therapie sind anders als bei einer VT, doch auch hier wird nur mit Seelenwasser gekocht. Also schöpfen wir es und erwärmen es, auf dass es in Bewegung gerät und die eingefrorenen Schichten des Missbrauches, weiter erwärmt, auftauen und sich mit dem großen See meiner Seele vereinen.

3. Runde: Angeschlagen

Insgesamt bin ich mir immer noch unsicher, ob ich bei H.K. an der richtigen Adresse bin. Die Krankenkasse hat inzwischen 25 Stunden genehmigt. Es ist mir immer noch zu unspezifisch, wie H.K. vorgeht. Außerdem habe ich Zweifel, ob sie meine PTBS überhaupt versteht. Zumindest scheinen ihr verschiedene gängige Symptome einer PTBS unbekannt zu sein. So erklärte ich ihr die Formen meiner Dissoziationen, ohne dass sie sie einzuordnen vermochte. Ein Umstand, der mich ebenso irritierte, wie ihre Verblüffung hinsichtlich meiner Skills, mit denen ich die unangenehmen Phänomene meiner PTBS zu reduzieren versuche. Gleichermaßen irritiert mich, dass sie den USB-Stick mit meinen Zeichnungen und Haikus zum Thema der Therapie bislang noch nicht betrachtet hatte.

Dies wiederum vergiftet mich, so dass ich einmal wieder mit dem gesamten Verlauf meiner Therapie hadere. Irgendwie fühle ich mich verraten und vollkommen unsicher, ob es überhaupt eine vernünftige Therapie geben kann. Jedenfalls haben mich M.R. und S.B. beide mit der 100. Stunde unmissverständlich verabschiedet, obgleich die Fortsetzung der Therapie unter anderem Segel und Wind doch sehr unbestimmt und fragwürdig war. Es war erkennbar, dass ich bei beiden das Limit erreicht hatte. Sind sie womöglich zu dem gleichen Ergebnis gekommen, dass ich letztlich in dieser verdammten PTBS stecken bleiben werde? So meine Gedanken: nicht austherapiert, sondern untherapierbar, weil zu schwer und zu multiple geschädigt!

Ich empfinde diesen Übergang als Krise. Vielleicht verändert sich noch etwas. Sprach doch H.K. von einem bevorstehenden Leidensweg durch ein tiefes Tal, um in der therapeutischen Auseinandersetzung letztlich doch Momente der Befreiung und Lösung zu erleben.

4. Runde: Infight

Am Vorabend zur Therapiestunde erleide ich einen heftigen Urtikariaschub. Er fällt auch Ruth auf und so nehme ich außer der Reihe eine zweite Tablette. Bin so stolz, dass ich mit den monatlichen Omalizumab-Spritzen , die Dosis auf eine Antihistamin-Tablette pro Tag reduzieren konnte. Erst im nachhinein werde ich erkennen, dass dieser Schub ein Hinweis war, was bereits verborgen in mir seinen Lauf genommen hatte.

Der Tintentropfen entfaltet sich nur vor meinen Augen. H.K. geht diesmal nicht auf das Bild ein. Ich sitze schweigend, warte, dass sie das Gespräch in Gang bringt. Warte gelassen, denn das Schweigen stört mich nicht. Ich schweige, weil mir nichts einfällt, was ich berichten könnte. Schweige auch, weil es bislang immer noch keinen Faden gibt, den ich aufnehmen könnte. Zuvor erklärte ich, warum ich nicht im düsteren Vorraum, sondern im lichten Etagenflur gewartet hatte, bis sie Einlass gewährte.

Sie unterbricht das Schweigen, fragt, was in mir vorgehe. Ich sage ihr, wie es ist: nichts besonderes, eher Gedankenleere. Sie meint, sie empfinde die Luft zum Schneiden; was mich erstaunt: das müsste ein Psychologe eigentlich aushalten, wenn geschwiegen wird. Meint sie auch, dass sie damit kein Problem habe. Doch offensichtlich hat sie ein Problem damit, denn sie konnotiert mein Entree insgesamt negativ: dass ich nicht im Kammerl gewartet hatte. Das Licht sei ausgegangen und sie öffnete die Tür ins Dunkle. Nun so dunkel konnte es nicht gewesen sein, denn ich ließ ja die Praxistüre weit offen stehen, damit ich, wann immer, auch wieder hineinkonnte. Egal. Dann missfiel ihr meine Inspektion ihres Raumes, Veränderungen registrierend. Es sind auch immer leichte Veränderungen da, und ich checke nun mal die Räumlichkeiten, in die ich eintrete. Es ist ein Erkennen, und dem folgt beim zweiten Mal ein Wiedererkennen und ein Bemerken oder Übersehen von Veränderungen. Der Raum sagt mir etwas über den Therapeuten, mehr als seine Erscheinung. Aber noch mehr ist der Therapieraum auch für mich ein Stück vertrauliche Umgebung, die ich annehmen muss, oder die mich hinaustreibt. Ihr Raum wurde mir bislang nicht heimelig. Er ist so wenig rhythmisch, hat etwas zerworfenes, als wäre er erstarrtes Provisorium. Neu bezogene Kissen liegen auf der Couch, auf die ich mich nie legen werde.

Ja, schließlich grollte sie über mein Schweigen. Wenn dass das Prinzip analytischer Therapien sei, Übertragung und Gegenübertragung, dann kann ich darauf verzichten. Es ist nicht meine Aufgabe, die verwirrten und unpassenden Gefühle des Therapeuten zu diskutieren. Sie empfand die Luft schneidend, ich war entspannt. Gut, dann hat sie wohl ein Problem mit ihrer Aggression gehabt. Irgendwie ging ich ihr auf den Keks; nur warum sollte das mein Problem sein oder werden? Überhaupt erscheint mir das ganze inzwischen, als würde sie sich dauerhaft in ihrer Praxis an ihren Klienten therapieren wollen. Übertragung und Gegenübertragung. Geradezu lächerlich, welches Konzept das sein soll. Wenn, dann sollte man analytische Therapie in einem Fußballstadion exerzieren, denn dort wäre die Gegenübertragung kaum so einseitig durch die Empfindlichkeit nur eines Therapeuten bestimmt.

Nun also Hick und Hack, ausgelöst durch meine Absonderlichkeit und das als therapeutisches Geschehen? Ich weiß nicht … Dann, wir treten in einen Dialog: wieder holt sie das Bild von der Sigmund Freuds Couch und zeigt es mir. Ich bekam es bei ihr schon dreimal zu sehen. Soll das wieder ein Versuch sein, mich auf die Couch zu locken? Auf diesen niederen Kasten mit der weißen Decke im unkontrolliertem Faltenwurf? Mit den pastellfarbenen Kunstseidenkissen? Diese zu kurze Couch auf der meine Füße überhängen würden? Ich betrachte angewidert diese mich abweisende Ranze! Auf dieses Möbel würde ich mich nie legen, nirgendwo, und überhaupt würde ich mich nie in einer Therapie auf eine Couch begeben.

Danach zeigt sie mir wieder das Taschenbuch von Alexander Lowen, dem Mitstifter der Bioenergetischen Analyse, und darin eine Übung, in der man in Gebär- oder Kopulationsstellung, auf dem Rücken liegend, sich dem therapeutischen Geschehen anvertrauen sollte. Dazu soll man dann noch mit den Extremitäten zittern und dem Körper wackeln, und all das soll die psychischen Verspannungen im Körper lösen. Schön. Es ist wieder einmal die monokausale Geschichte von dem Mann, der vor hundert Jahren der bayerischen Räteregierung empfahl, man solle sein Geschäft künftig im Wald verrichten, weil nur dadurch die Welt eine bessere werden würde. – Nein, ich werde mich weder scheingebärend noch scheinkopulierend auf den Boden legen und dazu zittern, wackeln und tönen.

3. Minute: Angetatscht, und auf die Bretter gegangen

Wir sprechen weiter dies und das, ich weiß es nicht mehr, jedenfalls tippt sie mir, ihre Rede unterstreichend mit den Fingern auf den linken Oberschenkel. Ich gefriere innerlich und verschwinde. Da ist nur noch das Gefühl der Berührung. Ich bin erstarrt und finde nicht mehr in den Vordergrund meinerselbst. Meins reagiert nach einer Weile, indem es aus mir in ihre Rede spricht: Fassen Sie mich bitte nie wieder an! Es ist bestimmt, doch ruhig. Wie die Stimme aus mir tönen konnte, weiß ich nicht. Da scheint mir durch die 200 Stunden Therapie zuvor ein neuer Persönlichkeitsaspekt hinzugewachsen zu sein. Ich mag ihn …

Warum ich während der Stunde von meiner Festrede für meine Freunde im November erzähle, weiß ich ebenfalls nicht mehr. Jedenfalls ging es mir darum, eben dieses Erstaunen über diesen hinzugewachsenen Raum in mir bildlich auszudrücken. Es ist hochinteressant, wie sich hier etwas in mir beleben konnte, was zuvor nicht da war. Zuvor war da nur der dependente Relativierer, Abwickler, Runterschlucker und Verschweiger. Nun erscheint eine souveräne Person, die ihre Grenzen aufzeigt. Schockiert bin ich über die Berührung dennoch. Sie brennt noch über Stunden auf meinem Schenkel.

Sie belebt auch die Erinnerung an eine probatorische Stunde mit ihr, die in den letzten Tagen im Vorfeld dieser Stunde meinen Unmut nährte. Es war eine flapsige Bewegung von H.K., auf eine zynisch kritische Bemerkung meinerseits, woraufhin sie mit ihrem Fuß versuchte, gegen meinen Fuß zu stoßen. Es war ein kumpelhafter doch zugleich auch abschätziger Ausdruck; so wie ein älterer Freund den jüngeren per Stupser an seinen niedereren Status erinnert. Dabei hatte sie für einen Moment auch den Gesichtsausdruck des Vaters, wenn er uns „kumpelhaft“ knuffte. Dieses Bild wuchs die letzten Tage zu einem speziellen Flashback an. – Es war ein erster Grund, die gerade begonnene Therapie infrage zu stellen. Doch zunächst wollte ich diese Geste erst einmal ansprechen. Ich hätte es jetzt auf die Berührung hin tun können, doch ich unterließ es, wollte das ganze nicht weiter komplizieren. Da war sie dann wohl wieder da, die dependente Persönlichkeit zur entsprechenden Störung.

Später, nachdem das Geplänkel verebbt war, erzählte ich von meiner augenblicklichen Befindlichkeit, insbesondere von den Mikro-Flashbacks, die mich zunehmend quälten. Beinahe schon wie gewohnt bekam ich kein Echo von ihr. Es war, als würde ich über belanglos Fremdes plaudern; ja; ich hatte das Gefühl, dass H.K. überhaupt nicht wahrnahm, von was ich sprach, weil sie keine Ahnung davon hatte – in etwa so, wie ein Musikbanause auf gute Musik reagiert; sie ist für ihn Geräusch, mehr nicht.

Ich gehe irritiert nach Hause, erzähle Ruth von der Begegnung. Sie ist ihrerseits irritiert, wo ich H.K. anfänglich doch sympathisch fand. Nun ja, die Sympathie betraf zunächst die Weltsicht, und von der schloss ich auf eine ebenso stimmige Therapie.

Am nächsten Tag rufe ich in einer anderen therapeutischen Praxis an und erkundige mich nach einem Therapieplatz. Jedenfalls bin ich entschlossen, beim nächsten Treffen die Therapie zu beenden.

5. und letzte Runde: Ausgezählt, technisches K. O.

Am Donnerstag dann meine Verabschiedung bei H.K. Ich eröffne, indem ich sage: „Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, dass ich nicht mehr komme.“ Sodann könnte ich fortfahren, doch ich halte ein. Ich will nicht wieder in dependente Muster verfallen und um der Gefälligkeit wegen quasseln. Sie sieht mich an, mit therapeutisch entleertem Blick, ich blicke zurück, unserer beider Augen blicken einander in die Pupille. Augenkampf! Ein klarer, gerader Blick, ich muss nicht wegschauen und nicht hinschauen, es blickt aus mir. Sie sieht in den leeren Flur von Meins. Wir schweigen und blicken. Nach einer Weile nimmt sie den Faden auf und fragt, ob ich ihr die Gründe für meine Aufkündigung nennen kann. Sie fragt nicht nach den Gründen, sondern kommt durch die kalte Küche.

Ich beginne damit, dass sie mich in der letzten Stunde angetatscht hatte und setze dazu, dass das nicht der erste Übergriff war, sondern sie schon einmal scherzend mit ihrem Fuß nach meinen gestoßen habe. Ja, sie gesteht es ein, wenn auch mit einem selbstironischen Unterton, dass sie „übergriffig“ war und es ein Fehler war, dass sie das Ausmaß meiner seelischen Verletzung nicht wirklich erfasst habe. Ja, so ist es. Demnach hatte sie wohl auch nicht begriffen, warum ich ihr die Hand so selten geben wollte. Dabei war es eine meiner ersten Feststellungen, als sie mir in den ersten propatorischen Stunden ihre Therapiegrundlagen andeutete, dass ich mich bei Körperübungen, wenn ich sie denn mitmachte, keinesfalls anfassen lassen würde. Vielmehr bietet sie mir zur Erklärung ihre Eigenart an, dass sie offenbar grundsätzlich auch die Berührung nicht scheue, denn eine Bekannte habe es ihr gegenüber auch schon mal gerügt, nachdem sie ihr gegenüber ihre Rede mit ständiger Berührung unterstrichen hatte. Tja …

Zu diesem ersten Grund erwähnte ich einige weitere Gründe, die mich darin bestärkten, die Therapie abzubrechen, denn ihre spürbare Übergriffigkeit war ja nur der Punkt aufs I, obgleich mir während dieser letzten Stunde erneut die Stelle am Oberschenkel, an der sie mich eine Woche zuvor angetatscht hatte, brannte, so wie ich noch zwei Tage danach diese Berührungsempfindung immer wieder von meinem Bein wischen musste – so auch jetzt, wo ich darüber schreibe. Es zeigt mir, wie empfindlich ich durch die PTBS geworden bin. Es zeigt mir aber auch, dass ich durch die vielen Stunden Therapie auch wehrhaft geworden bin; dass ich nicht mehr kleinrede, was mich belastet und triggert. Diese Abwehr und Selbstbehauptung geschieht, wie ich schon angedeutet habe, aus einem neuen Raum, der mir zugewachsen ist. Meins, meine Person, hat an Raum und damit an Präsenz gewonnen.

Dementsprechend kommt es auch zu einer kleinen Empörung von H.K., nachdem ich ihr auf ihre Frage: wie es mir denn damit ginge, meine Absage zu vertreten, antworte: dass ich damit kein Problem hätte, denn das erledige gerade eine meiner Figuren. Das heißt also, dann sind Sie gar nicht da? Dann haben Sie sich verkrümelt und lassen das hier abwickeln und schauen dem womöglich noch zu. Ja, wie recht sie doch hat. Nachdem ich bejahe, zeigt sie sich wirklich empört, ihre Zornesröte ist offensichtlich. Doch es berührt mich nicht, meine Soldaten stehen für mich ein.

Jedenfalls erkläre ich ihr mein Selbstverständnis: Meins, als eine Akkumulation von Räumen, die über eine Diele kommunizieren, je nachdem welche Türen offen stehen. Auch diese Erklärung schon öfter von mir mit dem Hinweis vorgetragen, dass es kein multiples System sei. Das sei immer Meins, Matthias, und wenn es hart, konkret, dicht, präsent wird, dann auch ich – jedenfalls mein Verständnis von Ich.

Ihr verhaltener Zorn auf meine Selbstkonstruktion ist mir eine weitere Bestätigung dafür, dass ich mit der Beendigung der Therapie richtig liege. Und weil diese Selbstkonstruktion funktioniert, kann ich zwischendurch auch unbefangen aussetzen und durchatmen, als ich merke, dass Meins vor lauter Disstress mal wieder atemlos sprechen möchte. Oh ja, die bislang 200 Stunden Therapie waren nicht umsonst!

Was ich nicht erkläre und nicht anspreche, weil ich auch merke, dass ich ihr inzwischen eigentlich schon viel zu lange dasitze und noch nicht verschwunden bin, wo doch alles klar scheint, ist ihre auffällig fehlende Ahnung typischer Erscheinungen im Rahmen einer PTBS. Jedoch am Beispiel der letzten Stunde, als ich von meinen Mikro-Flashbacks sprach, zu denen sie nichts zu sagen hatte, führe ich gleichwohl noch einen Punkt der methodischen Mängel ihrer Therapie an. Auch jetzt kommt dazu nichts. Vielmehr meint sie, dass sie mir keinen anderen Therapeuten zu empfehlen vermag, der mit meinem Fall zurecht käme. Auch das ist für mich eine Bestätigung dafür, dass sie nicht mit Traumatherapeuten vernetzt und von daher die falsche Therapeutin ist.

Ich gehe eine viertel Stunde vor der Zeit. Sie meinte noch, dass sie nicht mit meiner Absage gerechnet hatte. Nun ja, ich wusste es eine Woche vor ihr …

5 Gedanken zu “Therapie als Krampf und Kampf

  1. Ein äußerst interessanter post. – danke.

    Nun habe ich leider keinerlei Ahnung von jeglicher Therapie, aber ich werde aus dieser wie auch anderen Erzählungen den Eindruck nicht los, daß weibliche Therapeuten durchaus die unrealistische Vorstellung haben, von einem Patienten verlangen zu können, daß er dabei mithilft, daß die Therapeutin eine erfolgreiche Therapeutin ist, es für weibliche Therapeuten nahezu unmöglich ist, Männer losgelöst von jeder sexuellen Konnotation z.B. ihrer persönlichen Wirkung als Frau auf den Patienten zu betrachten.

    Letzteres erlebe ich übrigens auch bei Ärztinnen oder Anwältinnen, nicht aber bei meinen Institutsnerds. Oder liege ich damit völlig daneben?

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    • Stimmt Ihre Annahme, stimmt sie auch umgekehrt. Männliche Therapeuten haben dann ebenso sexuell unterfütterte Konnotationen gegenüber ihren Klientinnen. Nicht minder gilt dies aus der Perspektive weiblicher oder männlicher Klienten zu ihren Therapeuten. – Und in der Tat ist das so.

      Was ich in diesem Zusammenhang schon gehört habe, ist atemberaubend gruselig. Da vergewaltigt eine lesbische Therapeutin ihre lesbische Klientin. Da vögelt ein Therapeut seine Klientin, behandelt sie aber weiter. Umgekehrt habe ich ähnliches von männlichen Klienten noch nicht gehört, dass sie eine sexuelle Beziehung zu ihren Therapeuten hatten. – Was nicht heißt, dass es da nicht recht viel anders zugeht.

      Andererseits ist die sexuelle Komponente durchaus immer dabei, sobald Mann und Frau zusammenarbeiten, indem die persönliche Attraktivität hervorgehoben und auch eingesetzt wird. Das hat man im Büro, in der Straßenbahn, im Gesangsverein halt überall, wo Männlein und Weiblein sich begegnen. Dass ich bislang nur weibliche Therapeuten hatte, lag weniger an meiner Auswahl oder Priorität, sondern an der Tatsache, dass die Psychotherapie überwiegend eine weibliche Domäne geworden ist. Das ist ähnlich wie mit den Gynäkologen vor 50 Jahren, da hatte Frau auch kaum Auswahl, denn da war die Gynäkologie noch eine überwiegend männliche Domäne.

      Zuletzt meinte eine Therapeutin von der Traumaambulanz, es wäre an der Zeit, dass ich einen männlichen Therapeuten wähle, sie empfahl mir auch vier, doch keiner von ihnen hatte freie Kapazitäten. Von meinem Dutzend probatorische Therapeuten, war nur ein männlicher dabei. Über meine Erfahrung mit ihm hatte ich hier berichtet.

      Meine vorletzte Therapeutin war feministisch aufgestellt, von ihr hörte ich beim Aufwärmgeplänkel, wenn man nicht gerade übers Wetter redete, öfters irgendwelche ungefilterten feministischen Meinungen. Ich sprach dann dagegen, und sie wieder dafür, und dann bog ich den Quatsch ab, indem ich feststellte, aber deswegen bin ich nicht hier. Während der Therapie aber habe ich nie etwas von ihrer feministischen Weltsicht herausgehört. Sie konnte also strikt zwischen formeller und informeller Rolle wechseln. Anders hätte ich ganz sicher keine 100 Stunden bei ihr ausgehalten.

      Ich denke also, Sie liegen nicht ganz daneben, eher so dazwischen. Weshalb es auch keine gemischten israelischen Kampftruppen mehr gibt, weil es da immer ein dazwischen gibt, sobald eine Frau angeschossen wird.

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  2. „Männliche Therapeuten haben dann ebenso sexuell unterfütterte Konnotationen gegenüber ihren Klientinnen. “

    Das ist die Frage. Als hetereosexueller Mann kann ich das im Grunde niemals nachprüfen. Daher ist das eine gefährlich schwache Annahme.

    „Da vögelt ein Therapeut seine Klientin, behandelt sie aber weiter.“

    Das habe ich auch schon gehört. Die Frage ist, von dem das jeweils ausgeht. Meine Vermutung ist, daß die künstliche und im Grunde überall vorhandene Sexualisierung der Männer von den Frauen ausgeht.

    „indem die persönliche Attraktivität hervorgehoben und auch eingesetzt wird.“

    Na ja … aber wer fängt das an? Immerhin stört das in vielen Fällen ja gewaltig. Und das sie irgendwie von Natur aus dabei ist, finde ich keineswegs so einleuchtend.

    „sondern an der Tatsache, dass die Psychotherapie überwiegend eine weibliche Domäne geworden ist.“

    Aber warum? Gäbe es eine Methode, um festzustellen, ob Therapeutinnen stärker als Terapeuten daran glauben, daß ihr persönliches Wesen den Patienten tief berühren und „die Heilung“ auf fast magische Weise triggern wird?

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    • Mir hat ein homosexueller Freund einmal gesagt, dass wir Hetero-Männer nicht verstanden haben, dass wir auch Sexualobjekte sind, weswegen wir uns häufig schlecht gewandet und mit unförmigen Figuren zeigen. Ich denke, er liegt da durchaus richtig. – Als Missbrauchsopfer bin ich mir hingegen durchaus bewusst, auch als ein Objekt des Begehrens gesehen zu werden und bemerke diesen Blick sofort.

      Ich denke, der Attraktivitäts-Check läuft bei jeder Begegnung. Man geht in eine Praxis, Frau Doktor oder Frau Anwalt reicht einem die Hand und man hat sich schon gescannt, ob man einander ins Beuteschema passt. Dementsprechend charmant oder sachlich läuft dann die Begegnung trotz der beherrschenden formellen Situation ab.

      Ihre Sichtweise, dass die Sexualisierung der Männer durch die Attraktivität der Frauen angestoßen wird, bestätigt die Sicht meines Freundes, dass Männer sich ihrer Objekthaftigkeit im Auge der Frauen kaum bewusst sind. Andernfalls wäre Ihre Sicht geradezu muslimisch konnotiert, indem dass Eva die böse Schlange, die Verführerin, des Adams ist.

      Warum Frauen die Psychologie dominieren, hängt wohl damit zusammen, dass die Abiturientinnen meinen hier würden vornehmlich weibliche Eigenschaften gefordert. Ein männlicher Therapeut hat mir mal seine Motivlage erörtert. Er meinte, Psychotherapeut sei ein laxer Job, das bisschen Statistik machte er im Studium mit links, alles andere sei Intuition. Womöglich sehen das die absolvierten Psychologinnen ebenso. – Eins ist auffällig, seitdem Frauen die therapeutische Psychologie dominieren, stagnieren die Honorare mehr oder minder.

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  3. „Mir hat ein homosexueller Freund einmal gesagt, dass wir Hetero-Männer nicht verstanden haben, dass wir auch Sexualobjekte sind, weswegen wir uns häufig schlecht gewandet und mit unförmigen Figuren zeigen.“

    Das stimmt wohl, aber es wirs uns von Frauen ja auch ununterbrochen klar gemacht, daß sie angeblich nicht aufs Äußere bei Männern schauen.

    „und bemerke diesen Blick sofort.“

    Klar.

    „Dementsprechend charmant oder sachlich läuft dann die Begegnung trotz der beherrschenden formellen Situation ab.“

    Na ja, aber die Frage ist doch, ob sowas in die berufliche Beziehung einfließt.

    „Warum Frauen die Psychologie dominieren, hängt wohl damit zusammen, dass die Abiturientinnen meinen hier würden vornehmlich weibliche Eigenschaften gefordert.“

    Ja, ist eine glaubhafte Hypothese.

    „Eins ist auffällig, seitdem Frauen die therapeutische Psychologie dominieren, stagnieren die Honorare mehr oder minder.“

    Das ist wohl fast überall so und wohl weniger auf Frauen als auf das erweiterte Angebot zurückzuführen.

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