Da beklagte sich jüngst eine nicht mehr junge und wenig schöne, sondern von ihrer Physiognomie her meist erkennbar missgelaunte Frau über ein Kompliment, das ihr die erwähnten fehlenden Attribute zusprach, öffentlichkeitswirksam über Sexismus. Nun Sexismus ist das neue Killerwort, mit dem Frau jeden Mann, solange er noch im Korsett politischer Korrektheit eingeschnürt ist, den gesellschaftlichen Garaus machen kann. Gleichzeitig zeichnet dieser Vorwurf die beschuldigende Frau mit dem Opferstatus aus. Sie gilt fortan trotz, oder eben wegen ihrer Verletzlichkeit als mutig und wehrhaft. Es ist das billige Spiel einer oberflächlichen Gesellschaft, in der Befindlichkeiten wie Blessuren nach einer siegreichen Schlacht präsentiert werden; während der Bezichtigte auf immer geächtet ist.
Im jüngsten Fall, war die Empörung der mit einem Kompliment bedachten Frau durchschaubar aufgesetzt und die geschilderten Umstände nach den Aussagen anwesender Beobachter sichtlich fabuliert. Es war somit nur eine windige Falschbeschuldigung mehr. Zwar eine Falschbeschuldigung minderen Ausmaßes und für den Bezichtigten eher ungefährlich, da er bereits pensioniert ist und von daher kaum tief fallen kann, jedoch eine Bezichtigung und in ihrer Absicht ebenso boshaft wie eigennützig. – Alles in allem ein Schuss, der für Beschuldigerin nach hinten losging, denn auf Twitter hatten die Spaßvögel was zu zwitschern.
Auch ich zwitschere dort gelegentlich in dieser Disziplin. So auch diesmal, also sandte ich nachstehenden abgebildeten Tweet.
Wobei ich das mit der anbetungswürdigen Gottesmutter durchaus ernst meinte; schließlich steckt in jedem Scherz auch ein Quentchen Ernst. Schließlich war aufgrund meines erlittenen sexuellen Missbrauchs mein Vertrauen in die Mutter, die Täterin, restlos zerstört. Was aber tut ein Mensch, der Liebe und Vertrauen verloren hat? Er sucht in allem, was ihm begegnet, das, was er seitdem entbehren muss. Ich fand so eine Ersatzmutter in einer Bekannten, die mich mit knapp 30 Jahren in die Sucht-Selbsthilfegruppen begleitete und so mit in ein sauberes Leben führte. Zudem sah ich in Madonnenabbildungen und -figuren eine Metapher für die ideale Mutterliebe.
Lange wollte ich mir selbst eine geschnitzte Madonna zulegen; denn mit ihrem Erwerb würde ich mir gewissermaßen in magischer Manier die vermisste lautere Mutterliebe aneignen und mir so das verlorene Urvertrauen herbeibeschwören. Dieser Wunsch regte sich in mir besonders stark, als ich vor etwa 15 Jahren in Palma de Mallorca im Palazzo March eine Madonnenausstellung sah. Juan March, der Gründer der Banca March, hatte wertvolle Madonnen gesammelt. Die Ausstellung von rund 60 seiner Madonnenfiguren war beeindruckend. Gleichzeitig empfand ich seine Hinwendung an dieses Sujet irritierend. Denn March war, ehe er Bankier wurde, ein großer Verbrecher und auch als Bankier blieb er dem kriminellen Milieu treu.
Die Affinität der Bösewichte zur Religion ist so alt wie die Religionen selbst. Schon immer waren es die Priester, die mächtigen Verbrechern das Gewissen erleichterten und ihre Schandtaten bemäntelten, auf dass das Gleichgewicht zwischen irdischer und himmlischer Macht erhalten bliebe. Inwieweit Juan March wie ich auf der Suche nach verlorener Mutterliebe war, kann ich nicht beantworten, aber gemeinhin dürfte hinter dem eingefleischten Marienkult ein vergleichbares Trauma aus Missbrauch und Misshandlung wirken; schließlich gibt es nicht nur Madonnen auf der Welt, sondern auch lieblose, misshandelnde und missbrauchende Mütter. Womöglich ist das Defizit derart groß, dass die Metapher von der Gottesmutter, der von Rosen umrankten liebevollen Mutter, so bitter nötig ist, um als religiöse Illusion mütterliche Schändlichkeit zu überzeichnen und allen desillusionierten Kindern von Rabenmüttern Trost zu spenden.
Demnach wären Madonnen die Camouflage für einen durch alle Zeiten währenden Mißstand. Schließlich fußt die Figur der uns bekannten Madonna auf der seit dem Alten Reich bestehenden Metapher der ägyptischen Göttin Isis, die meist ihren Sohn Horus stillend dargestellt wird. Die Sehnsucht nach der liebenden Mutter ist demnach in diesen Figuren schon ein seit Jahrtausenden versinnbildlichtes menschliches Defizit.
Mit Beginn meiner PTBS verlor sich allerdings mein Wunsch, eine solche Madonnenfigur zu besitzen, denn immer deutlicher überzeichnete die mich missbrauchende Mutter das Ideal der Mutterliebe. Jedenfalls kann ich kaum noch eine Madonna betrachten, ohne nicht gleichzeitig durch die Ambivalenz der eigenen wie der himmlischen Mutter getriggert zu werden. Für mich scheint längst durch jede Madonna auch das Abbild der Täterin.
Auf meinen Tweet, den ich mit einem Ausschnitt von Raffaels Sixtinischer Madonna illustriert hatte, erhielt ich unter anderem diese Reaktion:
„Der Gesichtsausdruck ist unglaublich tiefsinnig und rührend. Als hätte man alle Sorgen aller Mütter um ihre Kinder in einem einzigen Bild verdichtet.“
Hierauf wollte ich antworten: Das schreckliche ist, die Mutter von mir war nicht minder schön, doch sie war diejenige, die mich geschändet hatte. Doch ich konnte diesen Re-Tweet nicht schreiben. Ich war blockiert. Mehrmals setzte ich an, um den Re-Tweet zu verfassen, doch es gelang mir nicht, meine innere Sperre zu überwinden. Meine Antwort hätte erkennbar das im Tweet idealisierte Mutterbild und die damit mittelbar benannte Sehnsucht konterkariert und mich selbst einmal mehr desillusioniert. Ja, schlimmer noch, sie hätte meinen ganzen Schmerz am falschen Objekt, nämlich der Gottesmutter, abgeladen. Zudem ist die Sixtinische Madonna für mich selbst ein ambivalentes Bild; denn das Jesuskind auf ihrem Arm ist sichtlich kein Säugling mehr, sondern erscheint mir eher von Gesicht und Statur wie ein Fünfjähriger. Damit aber wäre es in dem Alter, als die Mutter von mir mit ihrem Missbrauch begonnen hatte.
So bleibe ich zweigespalten. Einerseits idealisiere ich das Sujet der Madonna, andererseits wäre ich ihr erster Bilderstürmer. Denn für mich wirkt in diesen Madonnen der Hintergrund einer sehnsuchtsvollen Notwendigkeit, aus einem Defizit heraus diese Bilder zu verehren, weiter fort. Dieses Defizit, sprich die Vernachlässigung, Misshandlung und sexualisierte Gewalt von Müttern an ihren Kindern ist der unsichtbare und tabuisierte Gegensatz der Idealisierung, der mich anspringt, wann immer ich eine Madonna betrachte. Dementsprechend veränderte ich auch die einzige Fotografie, die ich noch besaß, die mich und die Mutter zeigt, durch Übermalung (siehe Titelbild), indem ich die Mutter bildlich in die Hölle schickte. Das Originalfoto ähnelt übrigens den Madonnenbildern, auf denen Maria den künftigen Heiland frontal präsentiert.
Gleichwohl erwarb ich jüngst das Bild einer Madonna mit dem Jesuskind, das mich nicht triggert, denn es zeigt eher eine abgestürzte Madonna, vielleicht eine alleinerziehende Mutter, die ihr Kind ebenso wie die Sixtinische Madonna nicht auf der Herzseite hält. Sie hält das Kind in einem kalten großstädtischen Raum wie ein sie befremdendes Objekt. Zugleich wurde das Bild in ein einstiges Madonnenbild eingefügt. Dieses Zusammenspiel von Ideal und Wirklichkeit ist für mich ein ehrlicheres Bild als der ganze Madonnenkitsch, den es gibt. Denn hier erscheint mir das Jesuskind bereits auf seinem eigenen Pfad steter Resilienz und darum vor jedmöglicher Konditionierung gefeit. Eine für mich ideale In-die-Welt-Gestelltheit, die ich mir auch für mich gewünscht hätte, um den Wahnsinn der Herkunftsfamilie schadlos zu überleben. – Es sollte leider nicht sein, doch so gerate ich wenigstens mit dem Bild öfters in heilsame Zwiesprache.
Hallo, hast Du Kinder? Wenn ja: Wie siehst Du da das aufeinandertreffen (im Inneren) der Elternschaft-Ideale mit den eigenen Grenzen (die jeder halt hat…)? lg s.
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Hallo Sonrisa,
ich verstehe nicht genau, was Sie meinen, versuche aber dennoch, Ihnen nach meinem Verständnis zu antworten.
Unser Sohn ist 45 Jahre alt. Ich hege keine Ideale. Elternsein war damals schon schwierig und ist es heute sicher noch mehr. Denn die gesellschaftlichen Anforderungen, sozialen Zwänge und Einmischungen von Familie, Freunde, Schule, Pädagogen, Sozialarbeiter und Medien sind heute sicher noch stärker, aufdringlicher und konterkarierender als damals. Unser Sohn wurde zudem mit 2 Jahren durch Krankheit gehörlos. Ich selbst wurde erst clean, als mein Sohn sieben Jahre alt war. Er selbst hatte also einige Handicaps in seinen ersten Jahren.
Mir selbst war besonders unangenehm, dass ich von der Schule oft als Hilfslehrer und in Erziehungssachen eingespannt wurde und unseren Sohn durch aufgenötigte Maßregelungen an ein Wertesystem anpassen musste, dass ich selbst für korrupt gehalten habe. Das ging natürlich nicht an unserem Sohn vorbei, dementsprechend war er auch zwischen zwei Weltauffassungen hin- und hergerissen. Gleichwohl meine ich, dass er das ganz gut gemeistert hat. Jedenfalls ist er heute ein selbstbewusster, wacher und sensibler Mensch, der sich selten ein X für ein U vormachen lässt.
LG Lotosritter
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