Respektlos gegenüber Gandhi

Foto: Vinoth Chandar – Happy Republic Day 2011 – Quelle: www.piqs.de

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Zufällig stieß ich vor ein paar Tagen auf ein Zitat von Gandhi in einem Forum, das sich für Opfer sexuellen Missbrauchs einsetzt. Es streift aus einer ganz anderen Perspektive die Frage möglicher Vergebung.

„Hasse die Sünde und nicht den Sünder“ M. K. Gandhi
Eine Autobiographie oder Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit
Zitat aus dem Kapitel: Eine scharfe Kontroverse mit der Macht

„… Der Mensch und sein Tun sind zweierlei. Während eine gute Tat Billigung und eine schlechte Tat Missbilligung finden sollte, verdient der Täter der Tat, ob gut oder schlecht, stets Achtung oder Mitleid je nach Lage des Falles. „Hasse die Sünde und nicht den Sünder“ ist ein Gebot, das, so leicht es zu verstehen ist, doch nur selten verwirklicht wird. Deshalb breitet sich das Gift des Hasses über die ganze Welt aus.

Ahimsa ist die Grundlage der Wahrheitssuche. Ich erkenne jeden Tag, dass die Suche vergeblich ist, wenn sie nicht auf Ahimsa als Basis gründet. Es ist ganz in der Ordnung, einem System zu widerstehen und es anzugreifen. Aber seinem Urheber zu widerstehen und ihn anzugreifen, ist gleichbedeutend mit Widerstand und Angriff gegen sich selbst. Denn wir sind allzumal Sünder und Kinder eines und desselben Schöpfers, und als solche besitzen wir unendliche göttliche Kräfte. Ein einziges Menschenwesen zu missachten, heißt diese göttlichen Kräfte missachten und so nicht nur dieses Einzelwesen schädigen, sondern mit ihm die ganze Welt.“

Ich halte diese Perspektive sowohl generell, als auch speziell für verzerrt, denn die Aufteilung von Verbrechen und Unrecht in Personen und Systeme, mag für Gandhi als dialektische Schleife, die teilweise mörderische Gewalt, als Folge seines gewaltfreien Widerstandes, verschleiern. Sie geht jedoch an der Wirklichkeit von Gewalt und Missbrauch in der Welt als auch in den Familien vorbei. – Die Welt ist hier nicht mein Anliegen, die Familien freilich schon. Denn es sind die Familien, die durch das miteinander aller Beteiligter ein System ausbilden, was ja auch sinnigerweise im Familienstellen in der Psychotherapie Beachtung findet. Dabei sind die Eltern im wesentlichen die systemprägende Kraft. Das heißt Gewalt und Missbrauch in einer Familie wird erst durch die Eltern systemimmanent.

In diesem Sinne versuchte ich, in dem Forum wie folgt zu antworten:

Edelmütig und grau wie jede Theorie. Hassen kann man nun mal als Mensch nur Menschen, Systeme und ihre Taten kann man nicht hassen, man kann sie verabscheuen, ablehnen, abwehren, ignorieren. Hass schädigt einen selbst, aber nicht den Verhassten. Hass ist der dunkle Bruder der Liebe. Wo die Liebe aufhört, macht sich Kälte breit. Hass ist aber nicht kalt, sondern eher das Höllenfeuer der Liebe. Hass kann folglich auch Wut über versagte und verratene Liebe durch eine Person sein.

Nicht das System ist das Problem des Missbrauchs, sondern der einzelne Täter. Sexueller Missbrauch ist keine Systemfrage, sondern eine Frage der Vorbeugung und der Benennung von Tabus. Über Missbrauch reden, schützt vor ihm.

Auch sollte man nicht aus dem Blick verlieren, dass die Täter nur eine verschwindend kleine Zahl sind und dass die Mehrheit der Kinder behütet aufwächst. Es gibt demnach keinen Grund das System zu „hassen“.

Dieser Kommentar wurde jedoch zurückgewiesen, weil er, so wörtlich, gegenüber dem Autor des Hauptkommentars respektlos sei. Ich bedauere, meine derart gerügte Respektlosigkeit gegenüber Mahatma Gandhi nicht. – Eine Folgeerscheinung für Menschen, die in einer prekären Familie, in der Gewalt und Missbrauch herrschten, aufwuchsen, kann eine dependente Persönlichkeitsstörung sein. Ich leide von Fall zu Fall auch darunter, was auch meine gelegentliche Reaktanz erklärt. Dementsprechend verneige ich mich vor Gandhi und widerspreche ihm fürderhin, wider die Täter und Täterinnen in den Familien, indem ich sie und nicht ihr System für die Taten verantwortlich mache.

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