20. April 2012: Aufgestanden. Teekochen. Im Radio DLF das Diskussionsthema „die geprügelte Generation“. Die Autorin ist im Studio. Berichtet. Es triggert mich und ich schalte ab. Schalte wieder ein und wieder ab und wieder ein … Will zuhören und kann es nicht. Infantilisiere in der Folge im Verlauf des Morgens und werde ein Bär. Erst im Fahrstuhl zur Therapie löse ich mich aus der Rolle. Doch noch zu Beginn der Stunde bin ich brummig und trotzig. Die Frage, wie es mir geht, bleibt offen, da ich mich mal wieder nicht finden mag.
Die Stunde formt sich, das Thema Schuld wird weiträumig umgangen. Ich kann mich ihm nicht nähern. Es ist zuviel Angst in mir. Angst davor, dass das Böse mich berühren könnte, dass etwas aufscheint, was mich einst übermannte. Angst davor, dass ich entschwinden könnte.
Ich spreche von der Radiosendung zuvor, um ein Beispiel von meiner Angst zu geben, aber auch von einem Schuldkomplex, über den ich durchaus sprechen kann. Ich beginne von Andi zu erzählen. Erzähle von unserer Verwahrlosung zu Drogenzeiten, von unserer Vernachlässigung des Kindes und meiner Hilflosigkeit, als ich ihn mit einem Kochlöffel – den dummen Rat einer Mutter aus der Nachbarschaft erinnernd und folgend – auf den Hintern schlug. Wie ich mich darob schämte. Und wie ich später, durch die Schule gedrängt, sein auffälliges Verhalten zu zügeln, meinte, ihn in Erinnerung an die väterlichen Exekutionen mit einem Stock versohlen zu müssen. Wie er sich das nicht gefallen ließ, was mir imponierte. Darüber sprach ich, und als M.R. meine Trauer und Scham darüber ansprach, flossen die Tränen. Und als sie fragte, was es gäbe, um diese Schuld von mir zu nehmen, wusste ich nichts, denn die Schuld bleibt mir, so mein Empfinden. Und mir fiel ein, wie ich manches Mal in maßlosem Zorn auf ihn einschlug, und was das Kind empfunden haben musste, als es meine Schläge spürte, welche Panik es dabei erlebte. Ich erinnerte ebenso, wie ich mich dafür bei ihm entschuldigte, ihn um Verzeihung bat. – Erinnere gerade beim schreiben den Circulus vitiosus, den ich seinerzeit erkannte, dass meine Scham darüber, meine Grundsätze zu verletzen, im Objekt meiner Wut, den Auslöser meiner Beschämung sah, und darüber die Aggression kumulierte. Ein ebenso affektiver wie fataler Prozess, denn das Objekt meiner Wut war in Wirklichkeit nicht mein Sohn, sondern ich selbst mit meiner verletzten Seele.
Ich sprach auch von unserem Bemühen, die Fehler der Vergangenheit zu beheben. Dem Sohn Liebe und Wärme zu geben. Ihn zu schützen, und ihm beizustehen, auch wenn es manchmal schwer war. Ja, wir standen wohl immer zu ihm. Manchmal schweren Herzens, aber dennoch.
Das war unser erstes Gespräch über Schuld. Als ich ging war ich wieder einmal schwer vor den Kopf gestoßen. Im gehen musste ich wohl heftig dissoziiert haben, denn als ich Ruth auf der Straße fragte, wohin wir gehen würden, wurde sie grantig, schließlich hätte ich bereits im Treppenhaus zweimal gesagt, dass wir den Berg hinauf zum Käfer gehen würden. Ich hatte daran aber keinerlei Erinnerung.