Beim Zappen heute Samstagabend blieb ich eine Weile bei RTL hängen und fing mir kurz hintereinander zwei heftige Trigger ein. Es war kein Halloween-Splatter, der das auslöste, sondern das Quiz „Wer wird Millionär? – Das große Zocker-Spezial“ mit Günther Jauch.
Jauch bemüht sich ja stets, irgendwie ironisch oder witzig zu sein, bleibt dabei aber auch meist dröge und holprig. In den fünf Minuten, die ich ihm zusah, sonderte er zwei unterirdische Bonmots ab, die mir aber ein klares Zeichen dafür waren, wie tief verankert die Strukturen alltäglicher Männerverachtung und sexuellen Missbrauchs gegenüber Jungen in unserer Gesellschaft sind. Zu diesen Strukturen gehört, dass wir unbedacht über den Missbrauch von Jungen durch Frauen witzeln und widerliche Männerverachtung ausdrücken dürfen, ohne befürchten zu müssen, dass wir hierfür gemaßregelt oder im Fall Günther Jauch ausgebuht werden würden.
Um es zu illustrieren, was ich meine, verdrehe ich Jauchs unauffällige Fauxpas. Stellen Sie sich vor, Jauch hätte gesagt: „Sie war 16 und ich war 35“, oder im zweiten Fall: „Frauen sollte man nach dem Sex wie Drohnen entsorgen“. Ganz bestimmt wäre schon, Sekunden nachdem dieser Blödsinn über seine Lippen gekommen war, ein Shitstorm losgeweht, der ihn in die Frührente gefegt hätte.
Doch Jauch sagte nichts dergleichen, deswegen gab es keine Empörungswelle und auch – außer meiner – keine weitere Nachbetrachtung. Jauchs Fauxpas war keiner, denn niemand nahm ihn als solches wahr. Es war nur einmal mehr etwas von der alltäglichen Niedertracht gegenüber Männer und Jungen und die sexuelle Gewalt, unter der sie still und „mannhaft“ leiden. Und eben das sind für mich erkennbare Strukturen des Missbrauchs für den unsere Gesellschaft als ganzes verantwortlich ist.
Im ersten Fall zweideutelte Jauch ein wenig über die heißen Nächte in Rio de Janeiro und spielte der Kandidatin gegenüber an, dass sie die Zweisamkeit mit ihrem Freund in Rio wohl wie eine nächtliche Sonne erhitzt haben würde, und zitierte schließlich falsch als Pointe: „Ich war 16 und sie war 35“. Eine Anspielung auf das Lied „Und es war Sommer“ von Peter Maffay. Dort lautet eine Zeile „Ich war 16 und sie war 31“. – Ich habe unter anderem über dieses Lied bereits hier in meinem Beitrag: „Jungs sind nicht missbrauchbar! Schon gar nicht durch Frauen“, gebloggt.
Im zweiten Fall machte uns Günther Jauch die in der Mitte der Gesellschaft angekommene faschistoide Feministin Valerie Solanas (1936-1988). Auf die Frage: „Wo herrscht einen Großteil des Jahres im wahren Sinne des Wortes eine reine Weiberwirtschaft?“, gab die Kandidatin, nachdem sie zwei Joker eingesetzt hatte, unwissentlich die richtige Antwort: die Bienen. Jauch erläuterte ihr daraufhin den Drohnenmord der Bienen, indem er vergleichend feststellte, dass das alljährliche Ritual auch ein Vorbild für den Menschen sein könnte. Denn die männlichen Bienen würden nach dem Sexualakt nicht mehr gebraucht und seien dann völlig nutzlos.
Also schließe ich: Erst wenn derlei Sprüche mich nicht mehr triggern können, weil sie, von jedermann als unterirdisch erkannt, gar nicht mehr über die Lippen gehen, sind wir einen Schritt weiter und gesellschaftliche Strukturen des sexuellen Missbrauchs erkennbar geschliffen.