Prostatitis zum Movember – Ein Schreckensbericht

© Movember Foundation

© Movember Foundation

Zum Movember ein längerer Bericht über die Untersuchung meiner Prostata, über die langwierige und teilweise schmerzhafte Fahndung nach dem richtigen Befund und über mein Erleben damit, als Opfer sexuellem Kindesmissbrauches in der Phase einer drei Jahre zuvor akut ausgebrochenen posttraumatischen Belastungsstörung. Das Erleben war insgesamt ebenso belastend wie verstörend, da ich mich im Schambereich entkleiden und anfassen lassen musste, und die Entblößung oft sehr lange währte, bis die medizinischen Untersuchungen abgeschlossen waren.

Zur offiziellen Seite des Movembers geht’s hier lang. Was der Movember ist und bedeutet, habe ich in meinem letzten Beitrag hier skizziert.

11. Oktober 2013

Habe dieser Tage zwei Albträume geträumt, die einmal keine sinnlosen Schotterträume waren.

Der erste nach der Prostata-Biopsie am Montagmorgen. Ich sitze in einem Kabuff, wie ihn manche Bibliotheken als Leserarbeitsplätze anbieten, und hämmere auf eine weiße Tastatur, da kommt plötzlich von hinten ein Monster und sticht mit blechernem Schlag auf mich ein. Ich wache sofort auf, verstört und seltsamerweise ob seiner Sinnhaftigkeit doch beruhigt. Es war ein Alb, den ich ein paar Stunden zuvor erlebte. Ich liege auf der Liege im Behandlungsraum, auf meiner linken Seite, der Hintern ist entblößt, die Beine sind angezogen. Der Ultraschallkopf wird eingeführt, dazu eine Spritze mit örtlicher Betäubung gesetzt, ein helldumpfer schmerzhafter Stich; der Schmerz verliert sich alsbald. Schon wird das Stanzgerät miteingeführt. Es ist unangenehm. Es dauert eine Weile, bis das Gerät eingerichtet ist, dann beginnt die Biopsie. Ich höre den blechernen Schlag, als die erste Nadel in die Prostata geschossen wird und zurückfedert. Klack-klack. Ich spüre dumpfen Schmerz. Erträglich. Ich bin ausgeliefert, dem Gerät im Hintern, dem Arzt, zwei Assistentinnen. Dennoch brabbel ich längst kindliches Kauderwelsch. Die Finger meiner linken Hand tanzen vor meinen Augen, greifen ins Leere, berühren sich, verknoten sich, lösen sich erneut und formen sich in bizarrer Haltung. Als Kind habe ich das zuletzt gemacht, früher im Kinderheim im Bett, da tanzten die Finger ebenso, gegen das Abendblau der Fenster oder den vom Nachtlicht düster erhellten Plafond. Der Arzt fragt, was ich da brabbel, ich sage ihm, das brauche ich für meinen Kopf. Ich könne ihm doch auch was erzählen, ich versuche es, wieder sticht eine Nadel ein, ich kann es nicht, denn ich bin schon wieder ganz fern, irgendwo, nur nicht da, wo die Maschine tackert, und brabbel und fingere hier nur weiter. Einen Brabbler habe er noch nie gehabt, meinte er scherzend, ja, erwidere ich, so hat er nun einen weiteren Baustein in seiner Karriere. Schließlich, ich meine, die Qual hört nicht mehr auf, frage ich, wie viele noch, denn die letzte Nadel tat schon verdammt weh, die örtliche Betäubung scheint nachzulassen. Noch drei und schon wieder Schuss, noch zwei, ich brabbel lauter und warte, auf den letzten Stanz. Dann ist Schluss, und der Hintern tut mir weh, und ich ziehe mir die Hose hoch, gürte mich, erhalte Erklärungen der Assistentin, die nicht wirklich bei mir ankommen, wo bin ich, was ist mit mir …

Später daheim, frühstücken, schlafen und albträumen, dann Fiebermessen, es zeigt 38°C im Ohr. Ich rufe beim Arzt an: sofort vorbeikommen! Einen Becher blutigen Urin in die Durchreiche stellen. Dann im Sprechzimmer: Das beginnende Fieber kündigt eine akute Prostatitis an. Um meine körperliche Labilität zu erklären, beginnt Ruth meine Geschichte zu skizzieren, der Arzt ist konsterniert, dass Frauen, dass Mütter sowas …! davon habe er noch nie gehört …, er fragt dezidiert nach, und ich deute nur stumm nickend auf mich. Doch wieder zurück zur Prostatitis, ich beschließe das Thema, es beginnt zu jucken, Quaddeln im Gesicht, sofort ins Krankenhaus. Dr. K. ruft beim Chef der urologischen Abteilung an und wir sind wenig später dort, intravenöses Antibiotikum wird angehängt. Und ich bin dort, wo ich nicht sein will, weil ich nicht da bin, und finde mich langsam ein, rücke ein wenig ins Unvermeidliche, ein junger Mann liegt schon im Zimmer, wir plaudern manchmal, ich bin erschöpft, habe leichte Schmerzen, habe kein Nachthemd, liege in einem fremden Bett, dämmere weg, wache auf, lese, fernsehe mit einem Auge. Am folgenden Morgen darf der junge Mann nach Hause. Während ich mich wasche wird ein neuer Patient ins Zimmer geschoben. Ein Bayer in meinem Alter.

Kurz darauf versuchen zwei Schwestern, ihn zu katheterisieren, es gelingt nicht, es tut ihm weh, zuviel geronnenes Blut verstopft seine Harnröhre. Es muss mit einer Spritze abgezogen werden. Er schreit vor Schmerz, tierisch, ich halte mir die Ohren zu. Ich kann nicht weg, hänge am Schlauch, habe keinen Morgenrock, das Flügelhemd ist zu klein. Meine Nesselsucht regt sich. In größeren Abständen Versuche, beim Bettnachbarn die Blase ablaufen zu lassen. Sie müssen extrem schmerzhaft sein, ein Brocken von Mannsbild schreit jämmerlich, stöhnt dazwischen, winselt. Dann, endlich abgestöpselt, muss ich in die Ambulanz, zur Restharnbestimmung, es gibt keinen Morgenmantel auf der Station, also ziehe ich mir Hose und Hemd über. Warum bin ich nur nicht vorher darauf gekommen? Bin froh aus dem Zimmer zu kommen. Ergebnis der Untersuchung: ich kann nach Hause gehen.

Später daheim, hole ich etwas Schlaf nach und träume alb. Auch diesmal nicht schrottig, sondern bewältigend. Es ist ein Anpassungstraum. Ich krieche irgendwelchen Feinden, die Ruth etwas anhaben wollen, in den Hintern. Ich kann sie zwar besänftigen, doch mein Disstress und meine Selbstverleugnung locken weitere Aasgeier an, und ich schwanke zwischen Unterwerfung und Aggression. Ich träumte wohl meine innere Abwesenheit während meiner Anwesenheit im Krankenhaus. Meine Unterwerfung an jene, die mich behandeln, betatschen, betreuen sollten. Echte und falsche Autoritäten erkennend, Kompetenz und Inkompetenz augenblicklich erfassend, so liegt er da im Feindesland … Kinderheim … Schule … Lehre … Arbeit …

(Mittwoch) Am Vormittag in der Hautklinik zur Urtikaria-Sprechstunde. Ein Termin, auf den ich zwei Monate harrte, und den ich eigentlich ob meiner aktuellen maladen Befindlichkeit absagen wollte. Doch niemand hob auf mein Läuten hin das Telefon ab. In der Sprechstunde erfahre ich, dass meine Blutwerte auf eine Entzündung hinweisen. Gleiches erfuhr ich im Sommer bereits vom Internisten und vermutete hierfür die Urtikaria. Nein, meint die Ärztin, die Urtikaria verursache keine Entzündung. Ich erzähle von der akuten Prostatitis und den hohen PSA-Werten zuvor. Ja, Prostataentzündungen wären eine häufige Ursache der Nesselsucht. Mir wird schwulmig, war der ganze Zirkus der letzten Tage umsonst. Der Urin wurde doch auf Entzündungskeime negativ getestet. Kann sein, es gebe auch eine abakterielle Prostatitis. Alles unnötiger Zauber, hat man mir womöglich in die entzündete Prostata biopsiert? Na fein, wir werden sehen, was die Stanzproben hergeben. Für die nächsten zwei Monate ist jedenfalls eine Untersuchung auf Prostatitis blockiert, da die Werte durch Biopsie und Antibiotika verfälscht wären.

Ich bringe die psychogene Ursache ins Spiel, rede zögerlich, rede dann in mich hinein, spreche wieder einmal das Unsagbare aus. Spreche es in meine Handfläche, während ich meine Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger knete und so die Augen bedecke. Es juckt schlimm.

Es bleibt ein Mutmaßen. Der Entzündungsherd muss bestimmt werden, um die Werte senken zu können. Das Psychogene lässt sich kaum somatisch therapieren. Fürs nächste soll ich regelmäßig ein Antihistamin einnehmen, um den somatischen Auslösereize der Nesselsucht dauerhaft anzuheben. Auch das ist mir einsichtig. Daneben auch Abklärung beim Urologen und beim HNO, weil Nasennebenhöhlen und Mandeln häufig auch okkulte Entzündungsherde sind. Die Zähne wurden beim Zahnarztbesuch vor einer Woche abgeklärt und sind somit bereits ausgeschlossen.

Und abschließend der Trost: eine Urtikaria kann ebenso plötzlich enden, wie sie gekommen ist. Ich denke dabei an die PTBS, auch sie soll irgendwann einmal gänzlich schwinden.

Am Abend habe ich eine erste Gelegenheit, die schrecklichen, verstörenden Geschehnisse in der Gruppe mit Freunden zu teilen. Es tut gut, einen Ort zu haben, an dem man voll Vertrauen von seiner Not sprechen kann.

18. Okt. 2013

Heute (Montag) erfahre ich am Telefon das Ergebnis der Biopsie. Es wurden keine bösartigen Zellen gefunden, dafür wurde eine interstitielle Prostatitis diagnostiziert, was immer auch das sein soll, gegoogelt findet es sich nur dreimal. Ich solle in drei Monaten zur neuen PSA-Wert-Analyse kommen. Und was mache ich in der Zwischenzeit mit der Entzündung? Ja, wir haben ja keine Werte im Urin gefunden. Ja, aber es sei ja wohl eine abakterielle Entzündung, und da sei Antibiotika nun nicht mehr angesagt. Er sucht nach einer Antwort. Ich schlage Voltaren vor. Jetzt findet er die Linie. Ibuprofen wäre besser. Aber ich solle in drei Monaten wieder kommen. Eine Behandlung der akuten Prostatitis hat er nicht im Blick.

Ich merke, er überreißt die Situation nicht. Also werde ich mir einen anderen Urologen suchen müssen. Später nehme ich ein Voltaren 50, und die leichten Schmerzen im Unterleib lassen nach.

Interstitiell bedeutet zwischen den Räumen. Eine interessante Begegnung mit einem Wort, wo ich mein persönliches Selbstverständnis als Zwischenraum meiner Persönlichkeitsanteile verstehe. Demnach wäre ich wohl eine interstitielle Persönlichkeit oder interstitiell konditioniert.

(Mittwoch) Nun bin ich doch am recherchieren nach Prostatitis, nachdem mir der Stanzbefund zugefaxt wurde: „ausgeprägte chronische interstitielle und glanduläre Prostatitis“. Es findet sich aber nur wenig dazu, und wenn dann stets mit Hinweisen auf eine psychosomatische Ursache samt Verspannungen im Beckenbodenbereich. Nun gut, physiologisch ist die Beckenmuskulatur bei mir durchaus bemerkenswert, bei häufigen Ischialgien, ausgelöst durch Herpes, bei Bandscheiben und Wirbelproblemen im Bereich der LWS und schließlich noch Schwäche der Bauchmuskulatur durch eine Rektusdiastase. Über die psychosomatische Ursache muss ich ohnehin nicht nachdenken. Auffällig ist, dass die Prostatitis wahrscheinlich nicht mit der PTBS synchron einhergeht. Denn mein Blutbild vom August 2011 zeigt keine erhöhten Leukozyten. Allerdings wurden spezielle Entzündungswerte damals nicht mitgemessen. Die wurden erst mit Blutbildern vom Sommer dieses Jahres erhoben und weisen Abweichungen aus. – Morgen bin ich jedenfalls in der urologischen Ambulanz der LMU.

Während meiner Internetrecherche steigt das Bild meines heutigen Albs in mir auf. Es ist ein recht schwaches Bild. Eine henkersmäßig durchgeführte Beschneidung an mir auf einem Henkersblock. Gottlob gab es zuvor eine Lokalanästhesie durch einen Guß Irgendwas. Später oder davor, wer weiß, ging eine Uhr zu Bruch. Da steckt also noch viel Schlimmes aus der vergangenen Woche in meinem Gemüt.

Dafür hat die Nesselsucht nachgelassen. Ich nehme nun regelmäßig auf Empfehlung der Hautärztin Anti-Histamin, zwei Tabletten am Tag. Es juckt nur noch schwach und quaddelt nicht mehr so auf, falls ich mich mal kratze. Aber es macht müde. Mal sehen, ob sich dieser Effekt längerfristig verliert.

(Donnerstag) Besuch in der urologischen Sprechstunde der LMU. Der Arzt meint, den Befund interstitielle und glanduläre Prostatitis habe er fast bei jeder Prostatabiopsie, die nicht maligne ist. Er meint, mit drei Wochen Diclofenac müsste die Entzündung ausgeheilt sein. Später beim Internisten erfahre ich, dass die von ihm erhobenen Entzündungswerte eher auf eine Allergie hinwiesen.

25. Okt. 2013

Endlich wieder Stunde. Meine Absicht, dem Thema Prostatabiopsie und Prostatitis auszuweichen, wurde durchkreuzt. M.R. schwenkte alsbald auf das Thema Prostata um. Ich suchte das Thema nicht, wollte es nicht, fand bei der Herfahrt, dass es mich schon gar nicht mehr tangierte, weil ich wirklich kaum Erinnerungen an den Schrecken heben konnte, geschweige denn eine emotionale Berührung beim Gedanken daran empfand. Das Übel war schon so schön vergraben und versiegelt. Es war so gekonnt eingeebnet, dass es eigentlich unauffindbar bleiben musste. Nun also doch die Enterdigung. Doch die harte Landung aus gekonnter Dissoziation. Er war so weit weg gewesen, dass er sich selbst nicht mehr fand. Indes M.R. schnippte mit dem Finger, und er fiel aus allen Wolken … Nein, es kroch allmählich aus den Kulissen hervor, das arme Kind. – Es muss schon eine Menge Vertrauen in sie haben.

Nein, ich möchte nicht sagen, dass ich mich habe übertölpeln lassen oder tölpelhaft verhalten hatte. Der PSA-Wert war bedenklich hoch. Wir haben den zweiten Wert abgewartet, hatten den Urin auf mögliche Entzündungswerte untersuchen lassen, alles weitere Wissen kam erst durch die Recherche als Reaktion auf den durchlittenen Schrecken hinzu. Zuvor wies ich es bewusst von mir, mich durch die Müllhaufen im Internet zu wühlen, auf der Suche nach etwas, von dem ich noch nicht mal wusste, dass ich es womöglich suchte.

Schmerzliche Momente drängten sich mir auf, erinnerten mich wie verletzlich ich war. Die Hilflosigkeit, als ich in das medizinische Getriebe kam. Diese Übergabe des Körpers, macht mit ihm, was ihr wollt. Diese starke Dissoziation, diese Abwesenheit, für wenige Sekunden tanzten wieder die Finger vor meinen Augen. In den Händen juckte es und eine starke Zeichnung der Urtikaria trat hervor, obwohl ich eine Stunde zuvor eine Tablette dagegen eingenommen hatte. Wieder durchlebte ich die Hilflosigkeit in dem Kammerl, in dem die Biopsie geschah. Und wieder hielt ich mir die Ohren zu, weil ich die Schmerzensschreie des Bettnachbarn nicht hören wollte, die wie die Schmerzensschreie meiner Geschwister in mich drangen, wenn der Vater wieder seine Stockhiebe exekutierte und ihre Haut dabei zerriß.

Schließlich die Frage, wie ich denn körperlich zu dem Geschehen stehe … ich verstehe die Frage nicht wirklich, wo ich doch entsprechend dissoziativ meinen Körper den Schändern überlassen hatte; wo ich oft selbst nicht weiß, wo in meinem Körper ich zuhause bin, inwieweit ich selbst Heimstatt in meinem Körper habe. Ja, woher soll ich all das auch wissen, wo ich um mich selbst so wenig weiß, wie weit ich da und mit meinem Körper eins bin. Ich mag ihn, mag mich, bin zufrieden mit mir, bin nur manchmal erschrocken, wie sehr ich Objekt in weiblichen Augen bin. Der Schnuckelige, der Latin Lover, oder was sie in mich hineindenken, jedenfalls eine Sünde wert, wie mir öfters gesagt wurde. Dabei bin ich voller Schrecken, bin auf der Flucht und zersplittere, wenn ich die Lust auf mich in ihrem Blick erkenne. Das sind die Gedanken, die mir in den Kopf schießen, die alle zur Antwort drängen und die mich verstummen lassen und mich vordergründig den Unwirschen, den Abweisenden mimen lassen.

Alsdann: Liebe Deine Prostata!, so sinngemäß die Aufgabe an mich. Denn, soweit so klar, der psychosomatische Aspekt der Prostatitis ist unbestritten, und das Zusammenwirken der Fäden meiner Geschichte haben einen Angel- und Zerrpunkt in meiner Sexualität und somit organisch auch in der Prostata. Also gut, bemühe ich mich um eine gute Verbindung, ein schönes Zusammenspiel von Geist, Physis und Eros. Das interstitielle Wesen findet sich in der interstitiellen Prostatitis. Eine Begegnung der Zwischenräume im Zwischenspiel. Ich versuche es … Es scheint mir zu gefallen, mich ganz bis in den letzten Winkel zu mögen …

28. Februar 2014

Heute hielt ich mich einmal mehr über Stunden rechts oben in der Ecke auf, fern von mir und dem, was mit mir geschah. Ich lag im MRT, eine magnetische und spektrografische Untersuchung der Prostata. Sie begann mit Klistier daheim. Später auf dem Schlitten in die MRT-Röhre rektale Einführung einer Magnetresonanzspule. Stabilisierung der Spule im Gedärm mittels Gummiball. Spürbar. Verabreichtes Buscopan entkrampft alsbald. Nadel für Kontrastmittel in der linken Armvene. Ich denke an Hinrichtungen per Giftspritze, die moderne Metapher zur Kreuzigung. Schallschutz auf die Ohren. Schließlich Einschub in die Röhre, gottlob mit den Füßen voraus, so bleibt mir etwas mehr Licht und eine Ahnung von der Öffnung, sobald ich die Augen öffne, was ich jedoch nur dreimal machen werde. Der Rhythmus des MRT beginnt, ein Stakkato, ein Knattern, manchmal sehr präzise, manchmal diffus, ich achte auf meine Atmung, und gleite davon. „Tief in den Bauch atmen!“, muss ich mir öfters bewusst machen, da manchmal der Atem stockt, weil das flache Liegen mir das Atmen erschwert.

Die Stunde in der Röhre war dank meiner Dissoziationsfähigkeit recht kurzweilig; allerdings brauchte es mehr als so lang, bis ich wirklich wieder bei mir ankam; im Grunde fand ich mich erst wieder, als ich ausgiebig geschlafen hatte. – Ach ja, die erste Bildübersicht nach dem MRT ergab keinen malignen Befund, eine genaue Analyse wird in wenigen Tagen errechnet und ausgewertet worden sein.

14. März 2014

Am Montag früh beim Urologen. Er rät zu einer erneuten Biopsie. Grund, weil das Maligne nicht ausgeschlossen sei, obgleich es ebenso wenig bestätigt wurde. Die bestätigte und sichtbare Entzündung aber meint er, nicht behandeln zu müssen. Ich verstehe das nicht. Selbstverständlich lehne ich die Biopsie ab. Er meint, es könnten gleichwohl nicht sichtbare Krebszellen in der Prostata sein. Als erklärte das Unsichtbare den hohen PSA Wert und als sei die sichtbare Entzündung folgenlos für den PSA. Ich erkläre, dass ich von der Befindlichkeit alle Symptome eine Prostatitis erlebe. Es scheint ihn nicht zu interessieren. Es müsse auch eine randomisierte Biopsie sein, denn nur wenn man blind schießen würde, könnte man auch etwas treffen, was man nicht vermutet. Damit beantwortet er meine Frage nach einer MRT-Biopsie. Klar, obwohl ein Entzündungsherd zu sehen ist, kann man nur blind im Gewebe stochern und hoffen, dass man was finde, was diesen Angriff letztlich rechtfertigt. – Ich bin im falschen Film.

18. April 2014

Schon verwirbelt der Alltag wieder die Stimmungen, hebt aber nicht den Mollton. Tristesse färbt weiterhin den Tag. Grundstimmung grau bei frühlingshaftem Regen, ergibt morgengrau bis zartblau, falls ich meinen Hintergrund vergesse und mich keine Assoziationen ans frühe Elend zurückbinden. – Dieserart religio ist die Religion des Teufels.

So gestimmt finde ich mich am späten Donnerstagvormittag im Rechts der Isar ein. Die Prostatitis soll untersucht werden.

Der Arzt stimmt mir zu, dass zunächst die eindeutig durch MRT diagnostizierte Prostatitis behandelt werden muss, ehe man möglicherweise über weitere Schritte nachdenken müsste. Zudem sei eine wiederholte Biopsie schon nach einem halben Jahr nicht angebracht. Er schlägt diagnostische Maßnahmen vor, da eine bakterielle Prostatitis ohne Sekretabstrich nicht ausgeschlossen werden kann. Also führt er eine unangenehme Testreihe durch: Ultraschallstab im Hintern – keine malignen Strukturen sichtbar – Prostatatasten, Prostatamassage zur Sekretion, Abstrich des Sekrets in der Harnröhre. Zum Schluss noch Harnstrahlmessung wozu ich, Wasser trinkend, eineinhalb Stunden auf Harndrang warte. – Ergebnisse der Untersuchung inklusive erneuter radiologischer Sichtung meiner MRT-Daten werden mir im Lauf der nächsten Woche übermittelt.

Meine Stimmung nach der Untersuchung ist ein wenig gedrückt, reduziert und leicht abwesend; ich bleibe aber doch gesammelt und zersplittere nicht. Daheim sage ich dann den Termin beim mich zuletzt behandelnden Urologen ab. Zu einem Arzt, der mir in die entzündete Prostata stechen, aber die Entzündung selbst nicht behandeln möchte, weil ihm der diagnostische Aufwand zu langwierig ist, will ich nicht gehen. Es ist der zweite Urologe in einem halben Jahr, dem ich den Rücken zuwende. Dabei habe ich ihm gesagt, dass ich den ersten Urologen wegen fehlendem Vertrauen verlassen habe. Auch hatte ich ihm einen Auszug über die Prostatabiopsie aus diesem Tagebuch gegeben. Er hat ihn entweder nicht gelesen, oder ihn ignoriert, jedenfalls kam von ihm keine Mitteilung, dass er sich der Entzündung zuwenden wolle.

Am Abend dann im Nordbad bei der Wassergymnastik bin ich sehr still, freue mich über die Bewegung und die Abendsonne, die mir durchs Fenster ins Gesicht scheint.

25. April 2014

Am Mittwoch erhalte ich die Diagnose von der Urologie Rechts der Isar. Die Prostatitis ist doch bakteriell (Enterokokken) bedingt. Mir wird eine sechswöchige Antibiotikakur mit Alphablockern verordnet. Nun gilt es erneut einen niedergelassenen Urologen zu finden. Diesmal aber, da ich weiß, was medizinisch angesagt ist, kann ich sie übers Stöckerl springen lassen, ehe ich mich wirklich einem anvertraue.

13. Juni 2014

Am frühen Nachmittag war ich beim Orthopäden, wegen den Schmerzen an den Achillessehnen, die auftreten, sobald ich nach einer Ruhe- oder Sitzphase wieder laufe. Es wird eine Achillessehnenscheidenentzündung diagnostiziert. Ursächlich dafür ist vermutlich das Antibiotika, das ich gegen die Prostatitis eingenommen hatte.

Und dann wieder – ich mag‘s am liebsten vergessen und nicht berichten – am Mittwoch Prostatasekretabnahme im rechts der Isar. Eine Weile der Dissoziation. Auf dem Schirm der weißen Wand vor der Liege tanzen meine Gedanken, denken, was ich nicht denke, während ich mich selbst nach rechts oben verkrümelt habe. – Danach Selbstferne und Traurigkeit bis in den Abend hinein.

12. Sept. 2014

Da ist Unruhe im Körper. Die Speiseröhre ist gereizt, Reflux zu deinen schlechten Träumen. Du schläfst unruhig. Die Gedanken wandern neben Alb und nervösem Leib. Alb und Leib scheinen nicht zu dir gehören. Auch die Gedanken laufen nebenher. Du bist das Auge des Taifun, der stille unbewegte Beobachter deines überreizten Rasens. Noch bevor der Wecker läutet stehst du auf. Bereitest dich auf die Untersuchung vor. Ein PET/MRT steht an, auf der Fahndung nach einer beinahe gesunden Prostata. Etwas Bösartiges soll nun endlich ausgeschlossen werden. Dann kann man sich ganz und unbefangen auf die Entzündung konzentrieren. Derlei Entzündungen sind langwierig und schwer zu behandeln.

Du gehst ins Rechts der Isar zur Nuklearmedizin. Dein Körper ist gestresst. Ruth fragt mich danach und ich weiß nichts fundiertes darauf zu sagen. Der Körper sendet mir Zeichen, die ich verstehe, zu denen ich aber in mir keine Empfindsamkeit bemerke. Es ist, als wäre die ganze Aufregung über die Untersuchung nur auf der körperlichen Ebene, aber nicht in meinem Gemüt.

Dann wirst du für die Röhre zurechtgelegt. Es müsste der pure Stress sein, doch du bleibst weiterhin unbeteiligt. Denn da man dir vorher Lasex gespritzt hat, wirst du in der Röhre wahrscheinlich pinkeln müssen. Also schiebt dir die Schwester eine Urinflasche zwischen die Beine und versucht, dein Glied ohne Anzufassen in die Öffnung zu bugsieren. Dann überlässt sie dir es zu tun, da du das ja selbst besser kannst. Oh Mann, ich ziehe das Hemd über meine Blöße.

Sie soll eine halbe Stunde betragen haben. Die meiste Zeit war ich wohl nicht richtig anwesend, weshalb mir die Zeit unter ratata-tacktack-pfeif-kratz-klopf-Geräuschen rasch verging.

Sechs Tage später das Ergebnis der Durchdringung meines Unterleibes, kein Krebs:

Befund:

MRT:

Die Prostata ist mit einem ri- Durchmesser von 5,5 cm deutlich über die Norm vergrößert mit Pelottierung des Harnblasenbodens und insgesamt inhomogenem Binnensignal in der T2w Sequenz. Kein Nachweis einer fokalen T2 Signalabsenkung oder eines fokaldiffusionsgestörten oder arteriell hyperfundierten Areals. Mit 12mm gering vergrößerter, jedoch oval konfig. LK Im Verlauf der rechten A, iliaca externa, als reaktiv zu warten. Sonst keine pathologisch vergrößerten Lymphknoten im Untersuchungsgebiet.

PET:

Kein Nachweis einer intensiven Traceranreicherung im Untersuchungsgebiet. Es fällt lediglich eine gering vermehrte Anreicherung in der rechten zentralen Zone auf Höhe des mittleren Drittels bis apexnah auf.

Beurteilung:

– Es zeigt sich weder morphologisch noch funktionell eine als dringend tumorsuspekt einzustufende Läsion der Prostata.

– Lediglich auffällig ist eine geringe PSMA-Expression In der rechten zentralen Zone (Höhe mittleres Drittel bis apexnah), die zwar am ehesten als unspezifisch einzustufen ist, sollte jedoch eine Re- Biopsie erwogen werden, so würde sich diese Region anbieten.

19. August 2016

Nach zwei Jahren war ich endlich wieder beim Urologen. Der Entzündungsherd in der Prostata ist mit dem Ultraschall nicht mehr zu sehen. Der PSA-Wert ist um die Hälfte gesunken, mit 8,9 aber immer noch zu hoch. Es ist eine gute Diagnose. Ich freue mich. – Das Mittel meiner Wahl zur Behandlung meiner Prostataentzündung war unregelmäßig allmorgendlich ein Teelöffel Hagebuttenpulver in Joghurt verrührt. Ich werde es weiterhin und regelmäßig beibehalten, zumal diese Rezeptur insgesamt entzündungshemmend sein soll.

Ein Gedanke zu “Prostatitis zum Movember – Ein Schreckensbericht

Hinterlasse einen Kommentar