Rot-rot-grün faseln – wie immer. Die Berliner haben sich einen rot-rot-grünen Senat gewählt. Diese Koalition hat sich einen Koalitionsvertrag gegeben. In diesem Vertrag finden sich auf Seite 107 im Abschnitt „Wirksamen Kinderschutz gewährleisten“ folgende Zeilen (168 – 174):
Die Beratungsstellen für Betroffene von sexueller Gewalt in der Kindheit werden weiter gestärkt. Die Koalition wird zusätzliche Maßnahmen prüfen, um den Schutz vor sexuellem Missbrauch und das Auffangen der Folgen für die Betroffenen zu verbessern.
Das Land Berlin wird ggf. sich am Fonds für Betroffene sexueller Gewalt im Familienkontext beteiligen.
Was daran ist Gefasel? Zum einen, dass man das Pfriemeln an der Sprache nicht lassen kann, und zum anderen, dass man keine klaren Aussagen trifft. Kindesmissbrauch gibt es in diesem „Vertrag“ nicht mehr, sondern „sexuelle Gewalt in der Kindheit“. Wenn schon, dann müsste es „sexualisierte Gewalt in der Kindheit“ heißen; denn Kindesmissbrauch beginnt schon, wenn man Kinder abbusselt, obwohl die es erkennbar nicht wollen, oder sie mit intimen Fragen beschämt. Was bereits eindeutig zur sexualisierten Gewalt zählt. – Doch in einer Koalition, in der die Grünen sitzen, die immer noch den Inzestparagraphen schleifen möchten und die die Kinderehe relativieren, weiß man nie, warum sie so und nicht anders und vor allem nicht Kindesmissbrauch sagen wollen.
Jedenfalls schreiben sie: „… die Koalition wird zusätzliche Maßnahmen prüfen …“. Nun gut, dann prüft mal schön. Meistens bedeutet dies, dass für das eigene Klientel ein paar Jobs mit wenig Arbeit und schön Daherreden geschaffen werden sollen. Doch da Berlin ohnehin pleite ist, wird es bei der Absichtsbekundung bleiben; Papier ist ja bekanntlich geduldig.
In ihrem Wahn, jeden Text irgendwie zu gendern und mit Sternchen und sonstigem das Lesen ermüdenden Blödsinn verhunzen zu müssen, mögen sie selbst die einfache Firmierung: „Fonds Sexueller Missbrauch“, nicht schreiben, sondern müssen sie als „Fonds für Betroffene sexueller Gewalt im Familienkontext“ umwidmen. Somit aber bezeichnen sie etwas, was es nicht gibt, und deswegen wird es auch in den nächsten vier Jahren kein Geld für den Fonds geben.
Zudem schreiben sie „gegebenenfalls“ … Nun, ein solcher Fall wird sich gewiss nicht ergeben, um sich finanziell am Fonds Sexueller Missbrauch zu beteiligen; schließlich hat sich erst in diesem Jahr mit Hessen ein erstes Land, in dem die Grünen an der Regierung beteiligt sind, finanziell am Fonds beteiligt. Warum also sollen ausgerechnet die Berliner Grünen, die ja in Sachen Kindesmissbrauch mächtig Dreck am Stecken haben, den Hessen nachfolgen.
Das rot-rot-grüne Gefasel verweist zugleich auf einen generellen Skandal, der allerdings nicht skandalisiert, sondern stillschweigend hingenommen wird, nämlich die Tatsache, dass sich außer Mecklenburg-Vorpommern (2013) und Bayern (2014) und Hessen (2016) bislang kein weiteres Bundesland an dem Fonds beteiligt (Info CDU Hessen).
Als der Fonds Sexueller Missbrauch 2011 am Runden Tisch geplant wurde, um den Opfern ergänzende Hilfen zu ermöglichen, damit sie ihre dringend notwendigen Therapien fortsetzen können, kam man überein, den Fonds mit 100 Millionen auszustatten. Doch keines der die Übereinkunft hälftig mittragenden 16 Bundesländer war zunächst bereit, seinen Anteil einzuzahlen. Ohne den mutigen Schritt der damaligen Familienministerin Kristina Schröder (CDU), den Bundesanteil von 50 Millionen dem Fonds zur Verfügung zu stellen, damit dieser starten konnte, wäre die Fondskasse heute wahrscheinlich noch immer leer. Es fehlen folglich noch immer rund 39 Millionen zugesagte Euros.
Das Verhalten der Bundesländer bestärkt mich weiter in der Ansicht, dass es sowohl offene als auch verborgene gesellschaftliche Strukturen sexuellen Missbrauchs gibt. Wer die Opfer, sobald die öffentliche Wahrnehmung wie nach dem Skandaljahr 2010 abflaut, schlicht vergisst und seine einst rühmlichen Zusagen nun unrühmlich unterlässt, weil niemand sein liderliches Vergessen anprangert, der tilgt den Kindesmissbrauch aus dem öffentlichen Gedächtnis und stärkt damit dessen klandestine Strukturen.
Wer noch dazu in einem Koalitionsvertrag zwar politisch korrekt schwafelt und dennoch wissentlich unerfüllbare Absichtserklärungen verkündet, der instrumentalisiert die Opfer, die er nicht mal Opfer, sondern nur Betroffene nennen will, für den schönen Schein und bedient damit gleichfalls verborgene Strukturen des Kindesmissbrauchs, indem er die Opfer zusätzlich verschweigt. – Über die gouvernantenhaften Sprachregelungen scheinbar Gutwilliger habe ich in meinem Aufsatz „Missbrauch der Opfer durch Missbrauch der Sprache“ gebloggt.
Wenigstens einer aber prangert die Säumigkeit der Bundesländer an: Es ist Johannes-Wilhelm Rörig, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung, der zwar in Sachen Kinderehe noch immer schweigsam ist, jedoch in der Angelegenheit der finanziellen Hilfen für die Opfer sexualisierter Gewalt klare Worte findet. So sagte er anlässlich des 2. Europäischen Tages zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch am 17. 11. in Berlin (Quelle):
„Nach Abschluss der Arbeit des ‚Runden Tisches Sexueller Kindesmissbrauch‘, an dem auch die Länder beteiligt waren, wurde Betroffenen die Einrichtung des Hilfsfonds für die Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs in Familien zugesichert. Bisher zahlen nur drei Bundesländer in den Fonds ein, während 13 nach wie vor säumig bleiben.“ Auch beim Thema Fachberatungsstellen forderte der Missbrauchsbeauftragte mehr Anstrengungen von Seiten der Länder. Auf sexuellen Missbrauch spezialisierte Fachberatungsstellen seien bundesweit weder personell noch finanziell angemessen ausgestattet, gleichzeitig betonten auch die Länder deren wichtige Rolle. „Diese Diskrepanz gilt es zu überwinden. Der erste Schritt wäre eine Bedarfsanalyse, um die ich alle Länder auf der Basis einer von mir in Auftrag gegebenen Expertise gebeten habe.“
Ja, es gilt noch mehr, als diese Diskrepanz zu überwinden! Es gilt grundsätzlich die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die Opfer sexuellen Missbrauches auch dann zu tragen und zu bejahen, wenn die Verbrechen nicht mehr im publizistischen Fokus stehen und eingelösten Hilfszusagen kaum noch die öffentliche Aufmerksamkeit finden. Ja, man darf auch helfen, wenn die Barmherzigkeit nicht von Blitzlichtern erhellt wird. – Und wegen diesem Unterlassen sollte sich jeder Politiker schämen, der weiter dazu schweigt, wenn eingegangene Verpflichtungserklärungen unerfüllt und somit die Opfer von Kindesmissbrauch in ihrer Not einmal mehr alleine bleiben.