Klar, Opfer nerven. Sie quengeln, haben Ansprüche und wenig Geduld, reden wirres Zeug ohne verständlichen Zusammenhang, halten sich nicht an guten Rat und ihre therapeutische Prognose ist mies. Klar, wer beruflich mit Opfern, speziell mit Opfern von Kindesmissbrauch zu tun hat, ist rasch überfordert, braucht dringend Pausen und entwickelt hervorragende Vermeidungsstrategien, um seinem Klientel zu entfliehen.
Das jedenfalls ging mir durch den Kopf, als ich versuchte, die heutigen Möglichkeiten zu erkunden, die ich hätte, wenn ich unverbindlich Rat und Hilfe suchte. Damals als ich sadistische und sexuelle Gewalt durch die Eltern erlitt, galt das Jugendamt noch als Feind der Kinder und Jugendlichen, der Missbrauchsopfer in Erziehungsheimen sperrte oder gar wieder in ihre gewalttätigen Familien zurückschickte.
Doch heutzutage ist ja alles prima, an allen Ecken und Enden gibt es Unterstützung und Rat; es genügt einmal googeln und klicken, und schon weiß man, wo und wie man als Opfer kinderschändender Familien Hilfe erhält. Doch so einfach ist es nicht, wie ich feststellen musste, nachdem ich probehalber versuchte, wie man beim Münchner Jugendamt Hilfe bei sexuellem Missbrauch erfragen kann. Das ist ohnehin zunächst nur via Internet möglich, denn ins Jugendamt kommt man nicht mehr so einfach hinein. Das ist nämlich dezentralisiert auf verschiedene Sozialbürgerhäuser verteilt worden; so nennt man heutzutage den Zusammenwurf vieler Büros und Verwaltungsabteilungen an einem Ort, und ohne Termin und Ansprechpartner kommt man nicht mehr ins Gebäude.
Es mag wohl daran liegen, dass das Tittitainment, das Nudging und die Nannypolitik nicht mehr so recht beim Bürger ankommen, weil die Leute längst gemerkt haben, dass sie nicht mehr ernst genommen und der Willkür psychisch problematischer Sozialarbeiter unterworfen werden. Und Menschen, die dahinterkommen, dass sie nur noch veralbert werden, werden darüber grantig und laut; was die Behörden wiederum durch den beschränkten Zugang zu ihren Verwaltungspalästen verhindern wollen.
1. Versuch, Hilfe bei sexuellem Missbrauch zu erhalten.
Hierfür setze ich mich an den PC und google via startpage.com nach Jugendamt München und gelange schließlich auf die Startseite des Jugendamtes. Dort sehe ich in einem Kasten den Link „Gefährdung von Kindern“.
Klick. Die neue Seite bietet den Link: „Hier finden Sie Ihre Fachberatung für sexuelle Kindesmisshandlung in den Sozialbürgerhäusern“. Abgesehen davon, dass es ein grauenhaftes, sinnverdrehendes Deutsch ist, das da geschrieben wurde, empfinde ich den Terminus: „Ihre Fachberatung“ als zynisch, so als handele es sich dabei um ein spezielles Konsumentenangebot.
Und weil, wie gesagt, in jedem Sozialbürgerhaus, und wie die nächste Seite selbst verrät, jede Menge bürgerorientierte Zuständigkeiten versammelt sind, muss ich zunächst via Suchmaske das zuständige Sozialbürgerhaus suchen. Ich tippe also meine fiktive Wohnadresse ein.
Doch damit nicht genug, nun muss ich via Suchmaske die „zuständige Stelle“, was immer das auch sein mag, ermitteln. Also gebe ich nun extra meine Meldeadresse ein, die ja für gewöhnlich mit der Wohnadresse identisch ist.
Nun werde ich – welch Verblüffung – auf das Sozialbürgerhaus Mitte hingewiesen. So ist das, wenn man im Zentrum wohnt. Hier klicke ich, brav der Anweisung folgend, auf „Suchen“. Die Seite lädt neu, verändert sich aber nicht.
Mithin klicke ich nun auf „Details“ und bleibe auf der identischen Seite, nur der Stadtplan rückt lesbar ins Bild. Allerdings erhalte ich keinen Hinweis auf die gesuchte Beratungsstelle wegen Kindesmissbrauchs. Es wird mir eine Telefonnummer geboten, die auf der Seite zuvor schon stand; es ist die zentrale Nummer des Behördenhauses. Also ganz sicher nicht der Ansprechpartner, den ein missbrauchtes Kind wünscht. Klicke ich auf „Treffer 2“ gelange ich zum Jobcenter.
Das bedeutet der erste Versuch ist nach 10 Klicks gescheitert. Die Beratungsstelle für Kindesmissbrauch bleibt mir verborgen.
2. Versuch
Ich klicke diesmal auf den Link „Misshandlung bei Kindern“
Jetzt versuche ich es bei „Amyna, Anlaufstelle zur Vorbeugung sexuellen Missbrauchs“. Ich wurde zwar schon missbraucht, doch es ist wenigstens ein verständlicher Link zum Thema.
Damit gelange ich auf die Seite von Amyna e.V., dem „Institut zur Prävention sexuellen Missbrauch“ – welch ein Name. Auf dieser Seite sehe ich als erstes „Crowdfunding-Projekt“, was wohl heißt: die Stadt München fechtet bei privaten Spendern um milde Gaben. Doch dann sehe ich rechts oben, recht klein geschrieben: „Informationen für Betroffene von sexueller Gewalt“.
Damit gerate ich wenigstens noch schneller ins Nirgendwo als bei der Seite des Jugendamtes. Amyna verrät mir, dass „sie mich sehr gerne beraten, blabla …“. Der Text ist vom März 2015. Die erbetenen Hinweise für die Verbesserung der Qualität der Vermittlung blieben bislang offensichtlich aus! Ja, so hält man sich erfolgreich Opfer von Kindesmissbrauch vom Leib.
3. Versuch
Der nächste Link, dem ich auf der Seite „Misshandlung bei Kindern“ folge ist von „KIBS Anlaufstelle für Jungen als Opfer von Gewalt“. Auch ein eigenwilliger Titel, als wenn es eine Maskera von Jungen wäre, wenn sie zum Gewaltopfer wurden. Sie sind nicht Opfer „von“ Gewalt, sondern kommen „als Opfer“ daher. Die Sprache verrät den Sprecher! – Im Fasching gehe ich als Opfer! – Und Gewalt muss hier ohne ihr Attribut sexuelle Gewalt auskommen.
Ich gelange zur Seite von KIBS und klicke aufs Logo. Was das Logo darstellt bleibt mir unverständlich. Ist es eine Schachfigur, eine Trillerpfeife oder ein ejakulierender Penis? Egal, auf wundersame Weise erhalte ich hier mit dem Aufscheinen der nächsten Seite auch eine funktionierende Telefonnummer zur Beratungsstelle.
Das Ziel ist hier also nach nur fünf Klicks erreicht.
4. Versuch
Und wenn ich ein Mädchen wäre, dann würde ich jetzt bei der Seite „Misshandlung bei Kindern“ auf den Link „Initiative Münchner Mädchenarbeit IMMA“ klicken. Daraus geht zwar nicht hervor, um was sich diese Initiative dreht, doch da ich sie schon kenne, weiß ich, dass ich hier richtig wäre. Ich lande auf der Startseite; finde auch dort nicht das Thema Kindesmissbrauch, dafür das vielversprechende Wort „Zufluchtstätte“.
Hier wird mit einer politisch korrekten Kurialie das Angebot für Mädchen und junge Frauen zwischen dem 13. und 20. Lebensjahr erläutert. Im linken Seitenframe sehe ich das entscheidende Wort „Kontakt“.
Ich klicke und erhalte mit einem Klick mehr als bei den Jungs eine Telefonnummer, die mir weiterhelfen würde.
Fazit
Das also sind die Strukturen zur Prävention vor Missbrauch und von Hilfen bei erlittener sexualisierter Gewalt, die Jugendlichen angeboten werden. Für Kinder unter 12 Jahren gibt es kein erkennbares Angebot und somit offensichtlich keine präventiven oder helfenden Strukturen, die ein Kind von sich aus aktivieren könnte.
Darüber kann ich nur lachen. Ein missbrauchtes Kind bräuchte für sein Alter schon ungewöhnlich viel investigative Intelligenz, um überhaupt aus diesem kaum verständlichen Link- und Seitenwirrwarr an die richtige Telefonnummer zu geraten und daraufhin womöglich die ersehnte Hilfe zu erhalten. Die Hilfe kommt typischerweise nicht vom Jugendamt selbst, sondern von einer mit ihm verbandelten Initiative. Da frage ich mich als normaler Simpel, für was braucht es denn dann noch ein Jugendamt, wenn diese Behörde selbst nicht mehr leisten kann, wofür sie da ist? Woher soll ein Kind wissen, dass nicht das Jugendamt sondern KIBS und IMMA für es zuständig sind, sobald es zuhause sexualisierter Gewalt ausgesetzt wird? Und wie soll ein Kind verstehen, dass es für das Jugendamt einen Unterschied macht, ob es als Junge oder Mädchen vergewaltigt wurde. Es ist ein Kind in existentieller Not? Es braucht sofort erreichbare Hilfe, doch was ihm geboten wird, ist im Grunde Verweigerung: abweisende Internetseiten, unverständliche Sprache und Links, die teilweise ins Leere gehen.
Jedenfalls sind die errichteten Strukturen, so wie sie sich darstellen, keine helfenden. Vielmehr sind sie abweisend. Wer jedoch ein hilfesuchendes Kind abweist, schickt es zurück in die Hände des Täters oder der Täterin. Die hier errichteten Strukturen begünstigen somit indirekt den Missbrauch. Es sind Strukturen der Ignoranz.
Und sollte ein Kind zwischendurch aufgeben und in seiner Not in einem letzten verzweifelten Versuch, Hilfe zu finden, auf der Seite des Jugendamtes in das Suchfeld das Wort „Kindesmissbrauch“ eingeben, gelangt es auf diese hier verlinkte vollkommen verwirrende Seite. Dass man hierbei in eine Buchstabenwüste gerät, liegt wohl auch daran, dass das Wort Kindesmissbrauch bei der politisch korrekten Sozialarbeit ein Bäh-Wort ist. Auf der Seite des Jugendamtes schreibt man, falls dieses Tabu überhaupt schon erwähnt werden muss von „sexueller Gewalt“. Nun ja, „Kindesmissbrauch“ versteht und sagt ein Kind. Den Begriff „sexuelle Gewalt“ lernt es erst beim Jugendamt kennen.
Gottlob macht es Papa Google leichter, sobald Kind nicht daran denkt, dass das Jugendamt ihm helfen kann, hat es mit einem Klick mit der Sucheingabe „Kindesmissbrauch Hilfe“, das „Hilfeportal Missbrauch“ als ersten Treffer und damit auch eine Rufnummer, die ihm womöglich weiterhelfen wird.
Wer sich gerne einmal im bürokratischen Moloch des Münchner Jugendamtes verirren möchte, der sollte diesen Link klicken. Ich warne jedoch: Der aufkommende Disstress kann Ihrer Leber und Galle schaden!
In einem meiner nächsten Blogbeiträge werde ich mich den eklatanten Dysfunktionen von KIBS und IMMA widmen.
Ein Gedanke zu “Sexueller Missbrauch: Sackgasse Onlinehilfe Jugendamt”