Probatorische Stunde II

Fehlender Durchblick

Fehlender Durchblick

Haben Sie Erinnerungen daran? Oder müssen diese erst gehoben werden? Es fällt dabei auch das Wort Hypnose. Welch seltsame Fragen der Therapeutin auf meine Feststellung im Telefongespräch, dass ich in Kindheit und Jugend durch Mutter und Vater sexuell missbraucht wurde. Ich möchte mit ihr eine probatorische Stunde vereinbaren. In mir schrillt die Alarmglocke. Ist die Frau eine Opfermacherin?

Wie kann ich einen Fakt behaupten, an den ich keine Erinnerung habe? Und warum fragt die Therapeutin danach, ob ich mich erinnern kann, wo ich gerade gesagt hatte, dass dies geschehen sei? Ich sage, dass ich mich sehr präzise an das Missbrauchsgeschehen erinnern könne und skizziere meine Geschichte, komplexe PTBS und seit vier Jahren in traumatherapeutischer Behandlung (VT). Ob ich denn eine Konfrontation mit den Ursachen suche oder sie anschauen möchte? Ich verstehe nicht, was sie meint, und erkläre dazu, das sei mir zu unspezifisch. Ja, sie mache Psychoanalyse und habe eine zusätzliche traumatherapeutische Ausbildung. Ich präzisiere, dass ich über vier Jahre mit meinem Trauma konfrontiert worden sei, und dass ich mich dabei sehr intensiv mit den Ursachen auseinandergesetzt habe. Sie meint, dass das Anschauen mehr mit mir zu tun habe. Ich entgegne, dass ich nicht daran glaube, durch Psychoanalyse noch etwas mehr zu erfahren. Die Faktenlage sei klar. Sie erwidert, dass das Anschauen ein lösender Prozess sei, während durch die Konfrontation, die traumatischen Ereignisse verfestigt würden. Dahingehend sei ihre Frage nicht unspezifisch gewesen.

Also nehme ich Position. Ich hätte einen Horror davor, in die Richtung multiple Persönlichkeit gelenkt zu werden; nur weil ich dissoziiere. Sie darauf erklärend, Dissoziation habe mit multipler Persönlichkeit nichts zu tun. Ich halte dagegen, dass aber etliche Opfermacher – ich verwende den Begriff unverblümt – aus Symptomen wie etwa der Dissoziation ganz selbstverständlich auf Missbrauchsgeschehen schließen würden, um in diesem Zusammenhang multiple Persönlichkeiten zu behaupten; so zum Beispiel Michaela Huber. Sie bestätigt, dass ihr Michaela Huber bekannt sei und sie sie als Referentin in ihrem Institut schon gehört hätte, und überhört meine Kritik. Ich denke daran, dass dann auch sie die irrwitzigen Behauptungen von Michaela Huber gelesen und akzeptiert haben musste, die unter anderem schrieb (Trauma und die Folgen, 2003), dass man bei einem Täter menschliche Fleischreste in dessen privatem Piranhabecken fand.

Sie redet weiter von therapeutischem Malen und Aufstellungen – bei Aufstellungen schrillt meine Alarmglocke erneut – und behauptet gar ein Heilsversprechen für ihr therapeutisches Vorgehen, an dessen Ende die seelischen Belastungen aufgelöst seien und ich unbeschwert leben würde.

Ich male nicht therapeutisch, ich will auch nicht therapeutisch malen, ich male und zeichne seit Jahrzehnten professionell, und ich verstehe meine therapiebegleitenden Arbeiten, die notwendigerweise als eins meiner Ausdrucksmittel entstehen, deshalb ebenso professionell. Ich erkläre es, und sie meint nur, das sei ja erfreulich, und ich solle meine Bilder zur probatorischen Stunde mitbringen. – Ich sage nichts dazu …

Wir vereinbaren eine probatorische Stunde. Nachdem ich aufgelegt habe, verschwinde ich im diffusen einer Dissoziation. Später gesellt sich Panik dazu, ich fühle mich ausgeliefert. Meine Frau zieht mich langsam wieder in die Wirklichkeit. Ich muss gar nichts. Ich muss den Termin nicht wahrnehmen. Ich muss auch die Unzulänglichkeiten der Therapeutin nicht detektieren. Das alles geht mich nichts an. Ich kann anrufen und ihr aufs Band sagen, dass ich den Termin nicht wahrnehme.

Ich schlafe darüber und sage anderntags die probatorische Stunde ab.

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