Am Ostermontag ist der Tag der Resilienz, ich berichtete darüber bereits vor einem Jahr (siehe hier) und erinnere im Vorfeld der Osterfeiertage mit nachstehendem Beitrag erneut an diesen wichtigen Tag.
Manche, die glücklicherweise in ihrem Leben keine sexualisierte Gewalt erlitten haben, meinen, ein Opfer von Kindesmissbrauch übertreibe, wenn es sich selbst als Überlebender bezeichnet. Etliche meinen dazu weiter, das erwachsen gewordene einst kindliche oder jugendliche Opfer sexualisierter Gewalt wolle sich mit den Überlebenden der Shoa vergleichen und hierüber in besonderem Maße nach Mitleid und Aufmerksamkeit heischen. Nun, ist es recht unsinnig, erlittenes Leid zu kategorisieren und zu qualifizieren und miteinander zu vergleichen, um das eine gegen das andere abzuwägen und hieraus abzuleiten, wer sich Opfer, wer sich Betroffener, wer sich Geschädigter, wer sich missbraucht, wer sich wie weiß was noch nennen darf. Vor allem wäre solche Qualifizierung eine Verhöhnung aller Opfer und zugleich eine zynische Exkulpation der Täter. Denn wer nicht gar zu bestialisch geschändet, nicht gar zu blutig misshandelt hatte, der wäre am Ende retrospektiv zum Opfer gar nur auch Betroffener oder mitbetroffen …
Verzeihen Sie meinen Sarkasmus, doch ich bin es überdrüssig, diese Bevormundung durch Sprachwächter, die politisch gesehen seltsamerweise meist aus jenen Ecken stammt, aus denen heraus man Kinderschändern ihre Taten einst erleichtern wollte, nämlich aus den Ecken der Grünen, der SPD und FDP und der Humanistischen Union, die über 20 Jahre lang im Konzert der Legalisierung von Kindesmissbrauch das Wort geredet hatten und zuletzt in der Diskussion um die Kinderehe die ersten Relativierer vorschickten, um den Kindesmissbrauch über diesen Weg zu legalisieren.
Dieses politische Milieu bildet auch das Umfeld, das den Begriff „Überlebender“ im Zusammenhang mit Opfern von Kindesmissbrauch wiederum für missbräuchlich hält. Dabei gibt es durchaus Parallelen zu den Überlebenden der Shoa. Denn viele Überlebende begannen nach ihrer Befreiung aus den Vernichtungs- und Konzentrationslagern ihr Leben scheinbar wieder zu meistern und sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Doch mit zunehmendem Alter holte sie das damalige Elend wieder ein und sie verfielen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die ihr Leben meist bis zum Tod überschattete. Somit überlebten sie die Zeit der Shoa nur scheinbar. Sie hatten sie zwar physisch aber nicht psychisch überlebt, denn sie blieben Gezeichnete und die erlittene Qual, Angst und Not hatte sie nie wirklich verlassen.
Ähnlich ergeht es Personen, die als Kind und Jugendliche misshandelt und missbraucht wurden. In einer Zeit, in der sie für ihre seelische Entwicklung eigentlich fürsorgliche Kontinuität, Liebe und Zuspruch benötigten, mussten sie um ihr Leben fürchten. Und sie waren dabei in ihrer Not auf sich selbst gestellt, denn sie konnten niemanden trauen und erzählen, was ihnen geschah, denn Scham- und Schuldgefühle verschlossen ihnen den Mund. Sie wuchsen in beständiger Angst auf und mussten abscheuliche Verbrechen über sich ergehen lassen. Sie wurden vergewaltigt, ohne begreifen zu können, was mit ihnen geschah; sie waren einer Tyrannei von offenen und subtilen Gewaltexzessen unterworfen, unter der es keine wirklichen Überlebensregeln gab, außer der, sich selbst aufzugeben, um zumindest mit viel Glück körperlich zu überleben. Das einzige was sie am Leben hielt, war, ihre Seele einzufrieren, damit Missachtung, Wut, Hass, Vernachlässigung sowie emotionaler Missbrauch sie nicht totgründlich beschädigen konnten, sondern am Panzer ihrer scheinbar eisigen Gefühllosigkeit abprallten. Allerdings traf sie die seelische Not dennoch ebenso wie die sexualisierte und körperliche Gewalt. Was blieb, war die Hoffnung, irgendwann volljährig geworden, diesem Orkus zu entkommen. Und etlichen gelang auch dies nicht, denn sie blieben seelisch unterworfen an ihre Peiniger gekettet. – Deswegen sprechen Überlebende von Kindesmissbrauch auch von Seelenmord, um die Dimension des erlittenen Verbrechens zu umreißen.
Wer in einen solchen Orkus hineingeboren wurde und in einem solchen Schattenreich unter Schändern und Schindern, die sein familiäres Umfeld bildeten, aufwuchs, und dabei nicht totgeprügelt wurde oder den Freitod gewählt hatte, der ist und bleibt ein Überlebender. Und wer immer ihm diesen Begriff untersagen möchte, der wandelt in den Fußstapfen der Täter und betreibt deren widerliches Geschäft seelischer Deprivation fort.
Wer darüberhinaus irgendwann zu einem scheinbar normalen Leben fand, sich nicht dauerhaft in Drogen, Selbstverletzung, Kriminalität oder Prostitution verlor und damit seinem Leben ein absehbares Ende setzte; wer nicht in Partnerschaften mit Partnern mit ebenso kranken Täterprofilen hängen blieb, der besitzt etwas, was leider vielen Opfern fehlt, der besitzt Überlebenskraft, auch Resilienz genannt.
Resilienz wird als der Gegensatz zur Vulnerabilität – was Verletzbarkeit bedeutet – genannt. Was genau diese Überlebenskraft ausmacht, weiß man nicht. Es gibt verschiedene Vermutungen, manche meinen, dass Resilienz eine ererbte Begabung sei, die sich gewissermaßen aus einer Abfolge von Überlebensfertigkeiten genetisch herausgebildet habe und in den Epigenen abgelegt sei. Andere Traumatherapeuten meinen, dass Resilienz eine Überlebensfertigkeit sei, die man teilweise durch Verhaltenstherapie ausbilden und festigen könne.
Nun, ich könnte beides für ursächlich halten. Als mich vor rund acht Jahren meine PTBS einholte, war ich ziemlich suizidgefährdet, schließlich fühlte ich mich von den Auswirkungen meines akuten Posttraumas vollkommen überrannt und sah weder Ausweg noch Lebenssinn. Hier war es das Geschick und die Beharrlichkeit meiner beiden Psychotherapeutinnen, die mich diese anhaltende Krise schließlich durchstehen ließen. Suizidgedanken und Suizidverlangen belasten mich seitdem nur noch selten und wenn, nur noch kurzfristig.
Andererseits mag es wohl eine genetische Veranlagung gewesen sein, die mich väterlicher- wie mütterlicherseits soweit prägte, dass ich den rasenden Wahnsinn des Orkus, dem ich entstammte, überleben konnte und nicht daran einging. Väterlicherseits wurden mein Großonkel im KZ Izbica und drei Onkeln zweiten Grades in Auschwitz, weil sie Juden waren, ermordet. Mütterlicherseits besteht eine polnische Linie, die ihrerseits über Jahrhunderte um ihr Überleben kämpfte. Überlebenswille und Überlebenskraft waren in beiden Linien vorhanden. Wohl auch deswegen entschieden sich beide Eltern auf die Seite der Täter zu wechseln, um zu überleben und selbst Täter zu werden. Resilienz muss demzufolge in ihren Auswirkungen keineswegs nur eine moralische oder positive Kraft sein; denn Überleben ist oftmals auch eine ambige Angelegenheit.
Inwieweit Resilienz vermittelbar ist und ausgebildet werden kann, ist ungewiss. Betrachtet man sie als ein Talent, das einem gegeben ist oder nicht, ist die Frage müßig. Denn dann muss man zur Resilienz nicht weiter forschen und sich über sie keine weiteren Gedanken machen. Meint man jedoch, dass wir nur ungenügende Antworten besitzen, wie man traumatisierten Personen im therapeutischen Rahmen Resilienz vermitteln kann, dann ist es absolut notwendig, Resilienz zu erforschen. Meine eigene Anschauung weist auf beides, Überlebenskraft ist sowohl Begabung und als auch erlernbar. Wobei das Leid Posttraumatisierter zugleich auch die Basis ist, von der aus man resiliente Fähigkeiten ausbilden kann. Es stellt gewissermaßen den Morast dar, in dem der erblühende Lotos wurzelt. Deswegen plädiere ich nachdrücklich für eine qualifizierte wissenschaftliche Beschäftigung mit und über Resilienz. Qualifiziert vor allem deswegen, weil Resilienz aktuell eher ein Thema eso-psychologischer Wellness ist und damit als seriöses Thema für Traumatherapeuten gefährdet scheint. Ich habe die Forderung nach Erforschung der Resilienz zuletzt gegenüber dem Missbrauchsbeauftragten und der Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs gestellt (siehe hier). Ich weiß, dass die Forderung eines Überlebenden ziemlich unbedeutend ist, doch ich hoffe, dass aufgrund meiner resilienten Beharrlichkeit dieser Auftrag von den „Missbrauchsfunktionären“ irgendwann erkannt und dann zu ihrer eigenen Aufgabe gemacht wird.
Zuletzt zitiere ich aus einem Interview von BR-Alpha mit Dr. med. Ulrike Schmidt von der Traumaambulanz des MPI, die sich darin unter anderem zu dem Begriff des „posttraumatischen Wachstums“ im Sinne von erlernter Resilienz äußert:
Schmidt: … Es gibt aber einen sehr schönen Begriff, den ich in diesem Zusammenhang gerne erwähne: Das ist das posttraumatische Wachstum. Dieser Begriff bedeutet, dass sich manche Persönlichkeitsmerkmale für den Patienten – auch von der Umwelt wahrnehmbar – positiv verändern. Manche entwickeln zum Beispiel eine besondere Sensibilität, andere entwickeln eine besondere Stärke. Die Persönlichkeit verändert sich also: aber nicht nur zum Positiven, sondern zum Teil auch zum Negativen. Diese negativen Erscheinungen versuchen wir natürlich, bei uns in der Therapie anzugehen. Solche negativen Erscheinungen können sein, dass diese Menschen ängstlicher sind, misstrauischer sind usw. Das versuchen wir in der Therapie zu ändern und das gelingt uns auch größtenteils, aber es können eben auch vom Patienten selbst als positiv empfundene Veränderungen auftreten.
Herrmann: Was wären denn solche Veränderungen? Was würde so einen Reifungsprozess charakterisieren? Was macht dieser Mensch dann anders und vor allem wie?
Schmidt: Viele Patienten sagen nach der Therapie: „Ich genieße das Leben mehr als vorher, ich nehme das nicht mehr so selbstverständlich. Ich weiß, wie schlecht es einem gehen kann. Ich habe es früher gar nicht so sehr gemerkt, was für ein Geschenk es eigentlich ist, wenn man gesund ist, keine Angst zu haben, gut schlafen zu können, einfach rausgehen zu können.“ Sie genießen das also mehr. Der zweite Punkt, den wir oft hören, ist: Diese Menschen sind im positiven Sinne empfindsamer geworden, sie bekommen besser mit, wie es anderen Menschen geht. Sie können die Tatsache, dass sie dieses Gespür entwickelt und verfeinert haben, auch im Beruf und im Privatleben für sich und andere nutzen. Solche Dinge hören wir immer wieder.
Hier der Link zum gesamten Interview in Film und Text
Freut mich, dass ich auch den Tag der Resilienz feiern kann; das passt mir gerade gut – ist das jedes Jahr der 17. April?
Resilienz zu untersuchen ist eine gute Idee; ich bin mir nicht sicher, ob das in den millionenschweren bisherigen Forschungsprojekten zum Thema „sexueller Kindesmissbrauch“ bisher getan wurde; ich habe zwar keinen vollständigen Überblick, aber nichts dergleichen im Kopf. Aber es gibt eine Betroffenen-Initiative, um den Verein Tauwetter, die dazu ein Forschungsprojekt angestoßen hat, und sich um Forschungsgelder bewerben will. Endlich Forschung, in der Betroffene nicht nur Untersuchungsobjekte wären! Unten ein Auszug aus dem Newsletter, in dem das Projekt vorgestellt wird. Ich kann den Newsletter gerne weiterleiten; man kann ihn aber auch anfordern unter: selforg@tauwetter.de
„Was wollen wir untersuchen? / Die Forschungsfrage Uns interessiert, welche anderen Wege außer Therapie oder Klinik es gibt, sexualisierte Gewalt zu bewältigen und zu bearbeiten. Dabei geht es um mehr oder weniger bewusst selbstorganisierte, persönliche Wege, aber auch um gemeinsame, organisierte Selbsthilfe. Dafür gibt es verschiedene Rahmenbedingungen, wie Stigmatisierungen oder Zuschreibungen, Partnerschaften und soziale Beziehungen, Unterbringung in Psychiatrie oder Inhaftierung oder vieles mehr. All das bestimmt unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten und die werden unterschiedlich wahrgenommen. Wie Betroffene es schaffen mit dem, was ihnen widerfahren ist, so umzugehen, dass sie zufriedenstellend leben können, das ist die spannende Frage, die wir erforschen wollen.“
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Nein, liebe Nicht-die-einzige, der Tag der Resilienz ist jedes Jahr am Ostermontag, also ein beweglicher Erinnerungstag. Grund hierfür ist, dass sich der Auferstandene am Ostermontag erstmals im Kreis seiner Jünger zeigte. Sich zumindest im Kreis seiner Vertrauten offenbaren zu können, ist gelebte Resilienz. Auch, dass dieses Gedenken nicht an einem starren Tag geschieht, halte ich für gelungen, denn Resilienz hat keinen Plan, sondern ein Potential, das sich aufschließt, sobald die Zeit und die Person dafür reif ist.
Zudem täuscht Dich Deine Einschätzung nicht, Resilienzforschung ist bislang weder beim UBSKM noch bei der UKASK überhaupt als eine Möglichkeit und schon gar nicht als ein absolut dringendes Projekt angekommen. Vielleicht kannst Du da alte Strippen ziehen …? Der Ansatz von Tauwetter zielt in die richtige Richtung. Ist der erwähnte Newsletter auch online zu lesen?
Ich wünsche uns einen herrlichen und eindrucksvollen Tag des Überlebens.
LG Lotosritter
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