„Ist sexuelle Gewalt gegenüber Kindern etwas menschliches?“ Diese Frage stellte heute ein Redakteur von INFOradio rbb dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauches (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig, (nachzuhören hier ab 3:05). Rörig verneinte die Frage indem er antwortete: „Sexuelle Gewalt gegenüber Kindern ist zutiefst unmenschlich.“
So gern ich auch wollte, vermag ich dem nicht zuzustimmen. Alles, was Menschen anderen Menschen antun, ist menschlich. Kinderschänder sind weder Aliens noch Monster, sondern ganz normale Menschen oder angemessener gesagt ganz normale Verbrecher. Zudem sind sie in den wenigsten Fällen pädophil oder päderastisch veranlagt. Die Mehrheit der Menschen mit dieser paraphilen Störung wissen um ihre gefährliche Neigung und tun alles, um sie nicht auszuleben und Kindern Schaden zuzufügen. Nur zwischen 12 und 20 % der enttarnten Kinderschänder besaßen auch pädophile Neigungen, der Rest waren normale Männer und Frauen, die einfach nur die Gelegenheit nutzten, sich einen besonderen Kick zu verschaffen. Wobei es bei sexuellem Missbrauch vor allem um die Macht über einen anderen Menschen geht, und bei Kindern und Jugendlichen lässt sich nun einmal am ehesten Macht durchsetzen und ein Mensch unterwerfen. – Macht zu haben und ausüben zu können, wann immer man will, ist der eigentliche Kick, und dieser Kick erregt Männer wie Frauen; und das ist leider zutiefst menschlich.
Es ist darum nicht aufklärend, wenn man, wie in dem Interview geschehen, pädokriminelle Täter entmenschlicht und ihre Verbrechen ins Unmenschliche verdammt. Wir wissen, dass mehr als 90 % der Täter den kindlichen Opfern bekannt sind. Es sind ihre Mütter und Väter, ihre Tanten und Onkels, ihre Geschwister, ihre Omas und Opas, ihre Trainerinnen und Trainer sowie ihre Lehrerinnen und Lehrer; es sind allesamt Menschen, denen das Kind in besonderer Weise vertraut – ja vertrauen muss -, die sich an ihm vergehen und es oft über Jahre missbrauchen und sexualisierter Gewalt aussetzen. Diese Verbrechen geschehen in den Familien und im Nahbereich der Kinder; leider versäumte es der UBSKM im Interview auf diesen Umstand hinzuweisen.
Wie menschlich diese Verbrechen sind, erkennt man am Anlass des Interviews. Es ging um die kinderpornografische Plattform Elysium, die seit Anfang dieses Jahres im Darknet zugänglich war und vorgestern still gelegt wurde. In diesen sechs Monaten hatten sich rund 90.000 Mitglieder auf der Seite registriert. Voraussetzung für die Mitgliedschaft war, dass man selbst kinderpornografisches Material einstellte; was bedeutet sämtliche Mitglieder dieser Plattform sind Kriminelle und zumindest mittelbare Kinderschänder. Mehrere Mitglieder der Seite boten dort ihre eigenen Kinder zum Missbrauch an. Die Anstifter, Anbieter und Teilnehmer dieser Abscheulichkeiten sind äußerlich betrachtet überwiegend brave und angesehene Bürger. Was wiederum bedeutet Kinderpornografie und sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist ein strukturelles gesellschaftliches Problem, das mitten in die Familien führt.
Was man dagegen machen kann, darüber wird seit 2010, als das Amt des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs eingerichtet wurde, nachgedacht. Einige Fortschritte sind bereits geschehen, doch im Grunde stehen wir mit der Prävention erst am Anfang; dies liegt eben auch an der strukturellen Verankerung des Missbrauchs in der Gesellschaft und am Schweigegebot über die Verbrechen in den Familien. Es liegt aber auch an der speziellen Abgründigkeit der Verbrechen, indem das Vertrauen der Kinder missbraucht wird und die Opfer dennoch schweigen, weil sie andernfalls einen geliebten Angehörigen belasten und das pervertierte Vertrauen verraten müssten. Es ist für ein Kind ein schier unlösbarer Gewissenskonflikt, bei dem sie sich selbst aufgeben, um nicht die Familie zu zerstören. Wobei die Familie ohnehin vom Täter und den dazu schweigenden Angehörigen zerstört wurde. Nur kann dies ein Kind noch nicht begreifen, weil es eine solche Verdorbenheit nicht zu durchdringen vermag. Für das Kind ist diese Verdorbenheit tatsächlich monströs.
Wie diese bindenden Hindernisse überwunden und die Strukturen zerbrochen werden können, dafür weiß ich auch keine Lösung. In jedem Fall sollte es in unserer Gesellschaft deutlich werden, das jeder, der über einen begründeten Verdacht schweigt, diese Verbrechen unterstützt. Gleichzeitig sollte auch jeder Frau bewusst sein, dass sie, wenn sie im Scheidungsfall einen unbegründeten Verdacht gegen den Kindsvater ausspricht, um sich an ihm zu rächen, indem sie ihm hierdurch den Umgang mit seinem Kindern zu erschweren beabsichtigt, die Strukturen des Missbrauch stützt und die Verfolgung von wahren Täterinnen und Tätern erschwert. Jedenfalls sollten Schweigen zu sowie falsche Anschuldigung von sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern härter als bisher bestraft werden.