Heilsam sind die Tränen der Resilienz

Über resiliente Momente schrieb ich immer wieder in meinem Therapietagebuch und diese Momente sind durchaus drastisch. Ich denke aber Resilienz muss eine drastische, die Perspektiven brechende Kraft sein, damit sich der Blick auf die eigene Geschichte und auf sich selbst soweit verändert, dass man sich als Überlebender ein neues Selbst, ein neues Meins aufbauen kann. Nachstehend zum morgigen Tag der Resilienz ein Auszug aus meinem Tagebuch vom August 2015.

Ich beschäftige mich weiter mit blutigen Tränen und entwickelte im Reden darüber in der Gruppe eine neue Fantasie, meinen erlittenen Schmerz zurückzureichen. Einen Bunker der Verdammnis will ich bauen; einen fensterlosen mit Stahlplatten verschalten Raum, dessen Wände mit der vermischten Asche der Täter getüncht sind. Auf diese grau geaschten Wände projiziere ich die Flashbacks, die Zerrbilder ihrer Schändlichkeiten aus meinem Kopf; so dass sie in ihrem Höllenschlund ihrer Schande und meinem Schmerz begegnen können; solange bis es ihnen zur unerträglichen Qual wird; solange bis sie sich darob läutern und ihre Schuld aus den Wänden gegen die Wände schreien und das Echo ihres Wütens den Raum erzittern lässt. Bis sie sich schließlich in ihrer Not lautlos verflüchtigen.

Nein, ich will kein „mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa“ von ihnen hören, das sollen sie mit sich selbst ausmachen. Ich bin hierfür nicht ihr Adressat, nicht der Ablassbaum, an dem man sein stinkendes Wasser abschlägt und sich dann erleichtert von dannen trollt. Ich wünsche mir nur, dass ihre Asche meinen Schmerz leidet und zu bluten beginnt. So wäscht ihr böses Blut ihre Asche von den Wänden und spült es in die Nachwelt ihrer Hölle. Der ganze Dreck ihrer Schändlichkeit bleibt ihnen. Nehmen sie ihn an, vermögen sie sich vielleicht so weit läutern, dass sie sich auf immer verflüchtigen. – Still und leise aus meinem Gemüt verschwinden.

Und in der Nacht auf Freitag male ich ein weiteres Tränenbild und denke dabei über ein weiteres Senryu nach. Und während ich nachdenke, wie mich die symbolische Vergeltung so antreibt, fällt mir ein, wie die Mutter gestorben ist. Sicher ihre Art zu sterben ereilt auch gute Menschen, es war also nicht ihre Niedertracht, die ihr diesen Tod bescherte; aber es ist ein seltsam stimmiges Bild, das sich ergibt. Sie starb an einem Ileus und erstickte an ihrer Scheiße, die ihr aus dem Hals quoll. Jedenfalls fand ich so zu diesem drastischen Haiku:

Meins weinte erst, als
Die Mutter, die mich fickte,
Ihren Scheiß erbrach.

Als es fertig war, sah ich, dass es stimmte. Es war so gewesen. Als ich 2011 am Tag, an dem ich von ihrem Tod erfuhr, in der Traumaambulanz des MPI vorsprach, weinte ich in der Tat zum ersten Mal in meinem Leben über meine Geschichte. Es flossen nur wenige Tränen, denn Scham und Schuld waren noch überwältigend und verboten mir Schmerz und Trauer, doch es war ein guter Anfang, in dem sich in mir ein neuer Raum öffnete.

 

Bei der Überarbeitung eingescannter Tränentücher sehe ich im Archiv eine Zeichnung, die ich bereits 2013 fertigte. Ein Mann mit blutigen Tränen blickt über seine rechte Schulter aus dem Bild. Dazu dieses Senryu:

Angestammtem Leid
Zum Trotz, drängt das Kind zum Heil
Ich umarme mich.

Es ging also um eine aktive Resilienz. Ich umarme mich. Sich selbst annehmen, in seiner Verletzung, Hilflosigkeit und Verletzlichkeit; seine Beschädigung bejahen und nicht weiter zu verneinen, und so bereit sein für die innere Kraft lauteren Widerstehens; das ist meine Botschaft an mich selbst. Aber es war damals noch nicht die Zeit, die heilsame Kraft der Tränen zu begreifen. Es war nur das Wissen, dass ich meine Tränen nicht weiter verbergen musste, dass ich meinen Schmerz offenbaren darf. Dazu musste er kulminieren und mich in eine weitere Lebenskrise drängen, die mein Leben und Arbeiten mal wieder auf den Kopf stellte, und ich so nach Jahrzehnten der Dämmerung eine Katharsis durchleben kann.

Die aktuellen Tränentücher unterscheiden sich dahingehend, dass mein Weinen inzwischen auch eine passive Resilienz ausdrückt. Ich erlaube mir, zu weinen, schäme mich darob nicht und löse mit meinen Tränen den Schmerz. Er fließt aus mir. – Schöne Worte, Schmacht und Pathos, doch die Idee dahinter bleibt wahr; womit ich letztlich bei der, meine innere Kraft hebenden, spirituellen Führung anlange. Doch damit gerate ich ins Mystische, dass Meins im Grunde ja auch biografisch in seinem anderen Blog und nicht hier behandelt.

Ein Gedanke zu “Heilsam sind die Tränen der Resilienz

  1. OMG, Lotosritter … wie krass Deine „Geschichte“ … Du hast Deinen Schmerz wirklich treffend zu Papier gebracht.
    Ich sende Dir viele freundliche Grüsse und wünsch Dir alles Gute für Deine Zukunft!
    Be strong💪

    Gefällt 1 Person

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