Spiegelbild – Situationen der Traumatherapie im Bild

Heute zeige ich zwei imaginierte Selbstportraits, die im Rahmen meiner derzeitigen Therapie entstanden. Beide besitzen eine erkennbare Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit, vor allem aber geben sie einen Eindruck, der meine derzeitige Psyche trefflich spiegelt. Das erste, diesem Beitrag zugeordnete Bild, zeigt Meins in der Dynamik des Persönlichkeitswandels, der durch die Traumatherapie angestoßen wurde. Die Farbe Blau steht hier für den Geist, der mich aus dem Elend hebt; Violett symbolisiert das seelische Leid aus dem ich mich löse; der akute Schmerz ist rot und gelb-orange ist das noch anhaftende Leid aus dem ich mich lösen möchte. Der blaue Teddy begleitet mich zu jeder Therapiestunde. Unter dem Gesicht scheint der knöcherne Schädel hervor. Er spielt auf mein Alter als auch auf die multimorbide Gefahr der kPTBS an, sowie auf das Leben am Rande des Todes, das ich als Opfer und Drogenabhängiger führte. Der rote Hals weist auf meine PTBS bedingten Hauterkrankungen hin, ist aber auch ein Symbol gewollter Kräftigung. In den orangen Augen liegt die verzweifelte Wut des Überlebenden, letztlich doch noch zu einer kompletten Person zu werden. Heilsame Tränen fließen über die linke Wange. Links ist die emotionale Seite, rechts liegt die rationale Seite. So zeigt sich in den Farben auch die anstehende Verarbeitung meines erlittenen Missbrauches.

Bis vor kurzem konnte ich kaum ohne Flashbacks in einen Spiegel blicken, also konzentrierte ich meinen Blick auf das, was ich via Spiegel kontrollieren wollte: meine Frisur, meine Rasur oder irgendwelche Wimmerl behandeln; mehr nahm ich nicht in den Blick.

Vor etwa vier Jahren begann mein Spiegelbild mich im Zuge meiner kPTPS zu triggern. Immer öfter sah ich den Vater oder die Mutter von mir in meinem Antlitz. Obgleich ein Spiegelbild nicht die wahre Erscheinung zeigt, entdeckte ich dennoch in den spiegelverkehrten Zügen die Täterfratzen. Ja, die Trigger wurden so heftig, dass sie mich buchstäblich aus dem Spiegel heraus ansprangen und ich sie gleich reißenden Gremlins imaginierte. Folglich vermied ich jeden direkten Blick in den Spiegel.

In der vorletzten Therapie vermochte ich das Thema zwar anzusprechen, doch zu einem therapeutischen Versuch, das Problem anzugehen, also mit der Therapeutin in den Spiegel zu blicken, fehlte mir der Mut. In diesem Frühjahr wagte ich jedoch das Problem mit der neuen Therapeutin anzugehen; schließlich begannen sich die spiegelbildlichen Intrusionen zu verfestigen.

Wir gingen das Problem nach der Methode CIPOS (Constant Installation of Present Orientation and Safety) an. Dazu hielt ich über zwei Monate in meinem Therapietagebuch nachstehendes fest:

12. März bis 25. März 2018

Wir nähern uns den Fratzen der Ahnen in meinem Gesicht, den immer wiederkehrenden Flashbacks, sobald ich auch nur flüchtig in den Spiegel blicke. Es sind Abrisse ihrer Visagen, während sie mich schänden, und sie ziehen Angst und Schrecken mit sich. Meine erste Reaktion ist Flucht, die zweite ist sekundengleich wegschauen, nichts von dem Bild festhalten. Wir sprechen darüber. Sprechen über die Erscheinungen, ihren Ablauf, wie sie aufscheinen, welches Coping ich einsetze, um nicht verschlungen zu werden. Wir sprechen nicht über die Assoziationen, die mit dem Schrecken aufscheinen wollen; was mir entgegenkommt, denn ich will dieses Fass nicht noch einmal aufmachen. Es wurde umkreist, sein Inhalt ausgegossen und zurückgekippt, da führt der Weg nicht mehr lang. Es soll nur mit den Bildern ein Ende haben. Wir tasten uns allmählich an den konkreten Versuch heran, die Bilder zu stoppen. Über zwei Sitzungen umkreisen wir das Phänomen, gliedern es, blättern es auf, registrieren es. In dieser Weise rücken wir ihm soweit nahe, dass ich es angehen möchte, dass ich es wagen möchte, in den Spiegel zu schauen, die Fratzen ergründen, und womöglich zu bannen.

Am Gründonnerstag ist es soweit, ich schaue in den Spiegel. S.W. rückt ihren Sessel dicht neben meinen Stuhl, damit sie ihre Manipulation nah vor meinen Augen durchführen kann. Ich blicke mir ins Antlitz und sehe die Vaterfratze. Ich fixiere sie, wie verabredet, laufe nicht weg, sondern erzähle, was mich umtreibt. Seltsamerweise bleiben jetzt konkrete Missbrauchsbilder aus. Auch will sich seine Visage nicht sofort einstellen, wie sonst im Badezimmerspiegel. Doch dann drückt sie durch, und ich muss wegblicken. S.W. führt jetzt Zeige- und Mittelfinger ihrer rechten Hand vor meinen Augen langsam hin und her. Ich folge ihnen mit den Augen.

Wir provozieren ein erneutes Bild im Spiegelbild, der Vater drängt sich vor. Doch nach ein paar Versuchen, erscheint auch die Mutter, um mich zu schrecken. Es ist gruselig, das Verlangen, abzubrechen und zu enteilen, ist groß, doch ich bleibe dabei, ich möchte ein Ende dieser Pein, beim Rasieren, Waschen, Zähneputzen …

Bei der Verabschiedung in die Osterferien bin ich wackelig und leicht desorientiert. Vorsichtig tappe ich die Treppe hinunter. Die nächsten paar Tage wird der Schwankschwindel heftig sein. Am Mittwoch vor der Stunde kündigte er sich schon an. Am Abend nach der Gruppe auf der Straßenbahninsel trete ich, als würde ich gerade vor Schwindel stürzen. Dabei stand ich fest und unbewegt; lediglich der Boden der Insel war leicht schräg. Es wird die Tage darauf noch öfters geschehen, dass mich der Schwankschwindel im Stehen erfasst.

Um Ostern rum wage ich es, wieder bewusst in den Spiegel zu blicken, das bekannte Phänomen scheint nicht auf. Doch eine stille hintergründige Bedrohung ist erhalten. Ich fürchte mich vor dem Blick, doch erkenne ich die Ahnen nicht mehr in mir. Gleichzeitig erkenne ich aber auch mein eigenes Gesicht nicht mehr, es ist mir fremd. Hierdurch aber reduziert sich mein Verlangen, weiter die Ahnen in meinem Gesicht zu suchen. Der ausweichende mein Antlitz meidende Blick in den Spiegel ist mir dennoch erhalten. Ich sehe die Details, doch mich sehe ich nicht, und suche ich bewusst mein Antlitz sehe ich mein Gesicht, ohne es als meins zu erkennen. – Tja, so fühlt es sich wohl an, wenn man sein Gesicht verloren hat.

9. April 2017

Die Osterferien sind vorbei. Wir sprechen über meine Eindrücke der Selbstbespiegelung und meiner Selbstentfremdung. Wieder blicken wir gemeinsam in den Spiegel. Wieder mit der Methode CIPOS. Diesmal schaue ich bis acht in den Spiegel, schildere danach meine Eindrücke, suche Präsenz im Raum und folge mit den Augen der Fingerbewegung. Mein Antlitz bleibt mir fremd, der Schrecken bleibt aus, weil im Fremden auch die Ahnen ohne Widerhall bleiben. Allerdings war es zwischendurch schwierig für mich, die notwendige Präsenz zu erreichen, um die Übungen fortzusetzen. Im Pegel zwischen 0 und 10 rangierte ich zu oft nach einer Spiegelschau unter 7, was S.W. nicht genügte, um mich wieder in den Spiegel blicken zu lassen. Ich müsse dem möglichen Schrecken schon mit ausreichender Präsenz begegnen; also waren wieder Präsenzübungen angesagt. Addieren und subtrahieren, Farben im Raum benennen, Boden unter den Füßen spüren, Aufstehen, Atmen etc. pp.

Schließlich bekomme ich als Hausaufgabe mit, daheim die Spiegelschau fortzusetzen und Selbstporträts zu malen. Doch was bekomme ich überhaupt mit? Auf der Suche nach dem Selbst, das sich im Spiegel verflüchtigte, bleiben wir auch in dieser Stunde ratlos zurück. Ein Versuch von S.W., einen Teil einzukreisen, – schließlich, so sagt sie, wolle sie nicht das Kind von damals, sondern den erwachsenen Mann im Jetzt therapieren – bewirkt Panik und Ablehnung in mir. Nein, diesen multiplen Persönlichkeits-Drehdrah will ich weder bedenken noch bereden. Sie beschwichtigt, indem sie erneut auf die vielfältigen Persönlichkeitsanteile verweist, die jeder Mensch in sich trägt.

Am Wochenende hatte ich dann noch im Garten des Altenstifts die besondere Gelegenheit, zuzusehen, wie sich zwei Demente fabulierend unterhielten. Es war ein Gespräch, bei dem ich einen Knoten im Hirn bekam und die Realität verlor. In der Folge musste ich öfters am Riechfläschchen inhalieren, um nicht zu dissoziieren. Demenz hat etwas von einer PTBS, denn auch sie zehrt nur noch von der Vergangenheit und hat keine Bleibe in der Gegenwart. Hier erstirbt die Seele des alten Menschen, beim Missbrauchsopfer ist sie erstorben, und der Versuch meiner Therapie ist, sie wiederzubeleben. Ich hoffe, dass es gelingt, und ich nicht der Demenz anheimfalle. Im Gegensatz zur Demenz ist bei einer PTBS das schlimme, dass man an der Vergangenheit leidet und von ihr gequält wird. PTBS ist purer Schmerz, Demenz hingegen erscheint mir wie ein harmloses Verwehen, ein allmähliches und gnädiges Verlöschen des Lebenslichtes. Gnade gibt es bei der PTBS hingegen keine; bestenfalls die allmähliche Vernarbung offener Wunden durch schmerzliche und anstrengende Therapie. „Heilwerden“ heißt hier Disziplin und Resilienz sowie ein fähiger, wohlgelittener Begleiter oder Scout – wie ich die Therapeuten verstehe – an der Seite.

16. April 2018

In die Stunde am Donnerstag trage ich die beiden „Selbstporträts“, die ich die Woche über gemalt hatte. Es sind keine Abbilder von mir, sondern sie zeigen eine Idee von mir und dem Prozess meiner kPTBS. Das Gespräch stresst mich. Ich rede ohnehin nicht gerne über meine Arbeit, vor allem dann nicht, wenn sie positive Beachtung findet, so wie jetzt auch. S.W. fragt, was ich mit dem Bild ausdrücken wollte. Wir sprechen über das farbintensivere Bild, dem ich den Senyru

Der Baum treibt Knospen
Altes Laub fällt ab. Frühling!
Mein Trauma verweht.

vorausgesetzt hatte. Es ist bi-händig gezeichnet. Sie will es genau wissen, also mache ich diesmal den Scout oder besser noch den Cicerone, der ihr Senyru, Farben und Bildkomposition erklärt. Und diese Erklärung ist dicht, da ich hierdurch ihrer Bewunderung enteilen kann, vor der ich mich fürchte, da sie mich mit meiner Begabung in den Vordergrund rückt, mich sichtbar macht, wo ich nicht weiß, was sichtbar wird. Ich will fliehen. Ich stehe auf, unterbreche, sitze wieder. Was los sei, ihre Frage. Ich antworte verzagt, das darf ich nicht, das steht mir nicht zu. Ich darf nichts können, darf nicht gut sein. Die Harmonie, die mit dem Bewunderer entsteht, ist bedrohlich; ich fürchte mich, fürchte mich vor Übergriffigkeit, die in harmonischen Augenblicken aufscheinen kann, jene Momente der Begehrlichkeit auf mich, meinen Leib; die Wölfe, die mich fressen wollen, weiblich oder männlich ist egal, sie wollen mich einverleiben – so meine Konditionierung.

Ja, da wirkt eine Urangst in mir, und als ich diese Angst erklären soll, erzähle ich die Geschichte vom Täubchen, das während einer Stunde mit M.R. aufs Fensterbrett flatterte und uns mit seinem golden und regenbogenfarbig schillernden Kropf verzauberte (26. 4. 2012). Ich musste zwanghaft vom Taubenbraten erzählen, um die entstandene Harmonie, diese Sekunden von innigem Gleichklang zu zerstören, weil ich auch in diesem Augenblick voll Angst war. Ich hatte keine Angst, dass M.R. mich betatschen wollen würde, sondern Angst vor der Harmonie, die ich so häufig als hintergründig gewaltträchtig empfinde, so dass ich nur fliehen oder dissoziieren möchte. Das war der eine Trigger …

Der andere war, dass ich meine Arbeit kaum zu vertreten weiß, weil ich sie nicht mit mir verbinden kann. Klar, ich erschaffe das Werk, doch der es erschafft, den finde ich in Meins so selten. Also bin ich mir unsicher, wenn ich mich mit dem Werk schmücke. Nein, sich herauszuwagen, sich zu zeigen, bringt auch Nachteile. Das war bereits im Kinderheim so, so dass es besser war, nicht zu weit aus dem Glied zu treten. Gleichwohl, es bleibt diffus, was ich dabei empfinde.

Nach einer Weile erkennt S.W., dass die Idee im Bild weint. Das linke Auge weint. Es ist das Wechselspiel mit dem durchscheinenden Tod, der farblichen Resilienz von Leid zu Leben und dem Schmerz über den Schmerz der Schändung, das die Tränen provoziert. Zwischendurch erwähnt S.W., dass sie mit meiner fehlenden Präsenz immer wieder Probleme habe. Ich würde das ganze mit technischem, praktischem Verständnis angehen und dabei meine Gefühle verbergen. Gut, darauf vermag ich zu erwidern, dass ich beim Alexithymie-Test im Internet im Ranking unter den Gefühlsblinden der zweitbeste bin; es fehlte nur ein Punkt zum leblosesten der Gefühlskrüppel. Ich kann es sagen, weil ich mich selbst nicht so wahrnehme, doch in letzter Zeit dieses mein Manko immer deutlicher wird. Eigentlich wollte sie darüber in dieser Stunde sprechen, doch nun sprechen wir über das Bild und mein Unvermögen, mich auch in meiner Befähigung anzunehmen. Darüber fließen meine Tränen. S.W. bietet mir die Kleenexbox an, doch ich wehre sie entrüstet ab, nein, ich weine lieber in mein eigenes Taschentuch …

30. April 2018

Selbstempfinden, mitempfinden mit mir, soll ich einüben. Ich verstehe nicht, was damit gemeint ist. Selbstmitleid soll es nicht sein, sondern eher ein emotionales Selbstgewahrsein. Nun, ich halte es nicht mit den schwellenden Worten, sondern streichle mich selbst, mein Gesicht, meine Wange, dabei wird der Gedanke für mich konkret. Jetzt empfinde ich mich selbst, spüre die Zärtlichkeit, die ich mir selbst wert bin und doch … Ich wechsle die Hand und streichle mit der Linken meine Wange und ich spüre nicht mich, sondern die Haut des Vaters in meiner Hand. Ich sage es, und wechsle schnell wieder zur Rechten.

Wieso ich das Gesicht des Vaters gestreichelt habe, fragt S.W. irritiert. Sie geht wohl davon aus, dass Eltern ihre Kinder streicheln aber selten umgekehrt, und wenn doch, dann vor allem nicht das Gesicht. Ich dagegen habe seine Wangen unzählige Male gestreichelt. Öfters, nachdem er mich kurz zuvor mit dem Rohrstock blutig markierte. Da schien er es besonders zu genießen, von seinen Opfern, meiner Schwester und mir, beschmust zu werden. Aber auch sonst, schaffte er immer wieder Gelegenheiten, damit wir ihn beschmusten. So animierte er uns, mit ihm zu raufen, und ließ uns dann oft lange nicht mehr los. Ja, wir streichelten seinen Kopf und seine Wangen, umfassten seinen Leib. Das hier etwas ungesund war, war mir als Jugendlicher bereits bewusst geworden. Vor allem wo er mit meiner Schwester dann alleine weiterraufte.

Jedenfalls spüre ich mit der linken Hand das Gesicht des Vaters, so wie ich es auch links im Spiegel sehe, während die Mutter rechts aufscheint. Eine Verdrehung, die der Phänomenologie der Esoteriker widerspricht, denn dort zeigt sich das männliche rechts und das weibliche links. Dazu fällt mir ein, dass mir die linke Hand öfters fremd ist, also nicht als mir zugehörig erscheint; was allerdings auch mit der HWS zusammenhängen könnte, wo öfters Nerven eingeklemmt sind.

Wieder bin ich erstaunt, in welch vielfältiger Weise der Missbrauch in dieser Familie praktiziert wurde. Denn dass diese Rituale missbräuchlich waren, wird mir erst jetzt wieder deutlich, zuvor hatte ich die Erinnerung daran, wenn ich getriggert darüber zu grübeln begann, stets rasch verdrängt.

Wir sprechen zunächst über den Antrag auf weitere Therapiestunden, die nun nach den ersten 24 Stunden gutachterlich genehmigt werden müssen. Dann wechseln wir zur letzten Bildbesprechung und auf S.W. Beobachtung, dass ich offensichtlich kaum Gefühle zeige. Sie erklärt mir, dass sie mich in Situationen, in denen ich eigentlich Gefühle zeigen müsste, als seltsam erlebt, es wirke nicht echt, als ob ich Gefühle inszenieren würde. Womit sie in ihrer Wahrnehmung wohl richtig liegt. Wie soll man auch über ein ausgebildetes Einfühlungsvermögen empfinden, wenn man häufig mitbekam, wie man nicht nur selbst, sondern auch die Geschwister in ritueller Weise mit dem Rohrstock blutig gezüchtigt wurden. Da fehlt ganz einfach der empfindsame Konnex, ähnlich einem Soziopathen, der sich die Empfindungen anderer abschaut, ohne sie für sich selbst wahrnehmen zu können. Nicht hineinempfinden, sich nicht vorstellen zu wollen, was die Geschwister bei gleicher Tortur empfinden könnten, schützte davor, den Schmerz und die Schmach nachzuempfinden. Warum auch, beides würde sich eh über kurz oder lang wieder einstellen.

Sie spricht darüber, wo ich in Bemächtigungsphantasien, die erlittene Schmach durch die Eltern zu überwinden versuchte und das dies dem Konzept IRRT (Imagery Rescripting an Reprocessing Therapy nach Mervin Smucker) entspricht, was man eventuell mit mir fortsetzen und vertiefen könnte. Das Konzept basiert auf drei Schritten: einer Exposition, der darauffolgenden Entmachtung der Täter und anschließender Bewältigung des Geschehens. Es ist quasi Traumatheater, in dem ich zum Regisseur und weißen Ritter meinerselbst werde. Nur sollte die Bewältigungsphase moderat bleiben und nicht eskalieren, da Eskalation wiederum die eigene Seele verletzt.

7. Mai 2018

Diesmal hatten wir am Dienstag Stunde. Wieder befassen wir uns mit dem schrecklichen Spiegelbild, in dem ich mir inzwischen gründlich fremd geworden bin, und in dem die Ahnen nicht mehr heiß triggern, sondern eher nur als Schreckenston den Hintergrund bilden. Wieder gehen wir nach CIPOS vor, diesmal wage ich 10 lange Sekunden den Blick in den Spiegel und es fällt mir nicht schwer. Es dräut ein wenig, doch es triggert nicht. Einmal dissoziiere ich, doch sonst bleibe ich bei der Aufgabe. Zwischendurch ein Schlenker. Wir sprechen über das Heim, die Schöße der Tanten, auf denen ich manchmal saß, und meine Angst vor Harmonie; denn zwischen mir und S.W. schwang eine harmonische Weile, und die warf mich in die Dissoziation.

Auf ihre Nachfragen hin, erläutere ich, dass das Empfinden möglicher Harmonie bei mir Triggeralarm auslöst. Was ich denn konkret befürchte, fragt S.W. Nun, dass sie übergriffig werden würde, mich anfassen wollte. Ob sie denn jemals solche Anzeichen gegeben hätte, fragt sie weiter. Nein, hat sie nicht. Aber manche habe das Funkeln des Begehrens in ihren Augen. Ob sie denn je funkelndes Begehren im Blick gehabt hätte. Ich verneine auch dies und muss lachen. Ich fühle mich sicher und vertraue ihr. – Ich werde es ihr das nächste Mal sagen.

Zum Wochenende bemerke ich beim Blick in den Spiegel, ich habe ein neues Gesicht. Es ist mir, wenn ich in den Spiegel blicke, zwar fremd, doch es gefällt mir. Vor allem es hat die Dämonenfratzen verloren. Ich kann in den Spiegel blicken, mich an dem gutaussehenden fremden Mann erfreuen, der mir entgegenblickt, und falls ich doch eine Ahnenspur sehe, triggert mich das nicht, sondern erinnert mich, dass ich Eltern hatte, die ich nicht hatte. Mal sehen, ob es hält. Ich fürchte mich davor, dass es wieder vergehen könnte – bin aber aufgrund der Entwicklung zuversichtlich, nur möchte ich es nicht überreizen. Jedenfalls kann ich inzwischen auch, sobald eine Situation bedrohlich wird, ohne getriggert zu werden, mich auf das Hier und Jetzt konzentrieren und somit entspannt den Blick auf etwas anderes lenken.

Abschließend zeige ich noch das zweite Selbstportrait. In ihm verschwindet das Gesicht beinahe unter der Farbe, obgleich es kräftig mit einer Gänsefeder gezeichnet wurde. Eine dominante Spirale in rot und gelb bedeckt das Gesicht. Leben gleich rot – die Integration, Tod und Leid gleich gelb – die Absonderung, umschlingen sich; so zeigt sich auch das therapeutische Ringen und der rückfällige Alltag mit den häufigen Dissoziationen und unzähligen Versuchen, den Boden nicht unter den Füßen zu verlieren. Dazwischen purpurne Linien, die auf das aktive Leiden deuten. Die Schädelkontur ist in weiß und blau gezeichnet und schwingt so, zwischen Geist und Tod, zwei Formen der Auflösung. Die gesamte Konzentration ist hier jedoch so stark, dass die Person durchsichtig bleibt. Verliert sich hier Meins, oder findet es sich?

Das dazugesetzte Senyru lautet:

Hellrosa vor alt
Kirschblüte am Ahnengrab.
Was war Eure Schuld?

Es spielt auf meine Suche nach Verständnis für das Erlittene in der Generationenfolge an. In diesem Frühjahr war ich an den Gräbern beider Großeltern väterlicherseits und sprach mit ihnen über ihr Versagen, ihre Blindheit und Hilflosigkeit, den womöglich erahnten Weg ihres Sohnes, des späteren Kinderschänders zu unterbinden. Beide Zeichnungen sollten eigentlich einen Aufbruch, eine Hinwendung zum Heilen zeigen. Jetzt, mit einigen Wochen Abstand, entdecke ich viel Verzweiflung in ihnen; doch durchaus auch eine gehörige Portion Mut. Eine Ambivalenz, die keine Zeit zum Verharren lässt, sondern mir wie eine Forderung aus der Zukunft erscheint, mich fortzubewegen, um letztlich doch komplett zu werden.

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