Diesmal etwas, was ich in diesem Blog seit seinem ersten Beitrag vor sechs Jahren nicht mehr getan hatte: ein Beitrag über mich in einer psychotherapeutischen Situation; denn ich denke, wir haben in der letzten Therapiestunde Anfang Februar einen guten Schritt gemacht, das Meinerselbst wieder in sich komplett werden kann und nicht mehr nur die Tapete in seinem Raum ist. Der Beitrag passt auch für die kommende Fastenzeit, die auch Besinnung auf die eigene Resilienz ist.
Blick von der Höhe
Nah der See, fern die Berge
Wieder ein Wunder.
Dieses Haiku bringe ich von der Zugfahrt mit in die Therapie. Es war ein atemberaubender Blick, der glänzende Ammersee, Nebelbänke über den Niederungen und darüber sehr konturiert und klar blaustichig der Karwendel und Wetterstein.
Ich spreche davon, wie die Albträume mich plagen, das ich in den letzten Nächten gar zweimal im Alb nach Ruth geschlagen hatte, und wie ich mir derzeit über der Beschäftigung mit dem Nachlass der Schwiegermutter selbst aus dem Weg gehen kann, ohne meine Selbstentfremdung zu bemerken. Ich erzähle von der Belastung, als ich mich wegen der Twitter-Blockade und der damit bekundeten Missachtung durch den UBSKM einmal mehr in einen Zustand totaler Hilflosigkeit versetzt fühlte. Hilflos! Hilflos sein, ein schauerlich bekanntes Gefühl für jeden Überlebenden, ein Gefühl, bei dem ich mir Leib wie Seele wund kratze, um wenigstens irgendwas dagegenzusetzen, ein Gefühl das mich verletzt; das dazu noch meine Psyche triggerwund aufbrechen lässt und das ganze elende Trauma einmal mehr nach oben kehrt, mit Pesthauch das Meinerselbst betäubt und meine kPTBS aktiviert, die ich mit vielen Therapiestunden einhegen konnte. Hilflosigkeit, dieses aufwühlende, wütende und dennoch machtlose Gefühl, nichts an seinem Geschick ändern zu können! Eine wieder aufgerissene Wunde, wieder nur den Schmerz schlicht aushalten müssen, diesen Bordun des Leids, diesen Grundton, der mich düster durch meine Kindheit bis zur Cleanzeit begleitete! Der meine Seele einsam zittern ließ. Der mich austönte, indem er mich in dumpfer Schwingung hielt und bis zur vollkommenen Nichtigkeit entleerte. Wieder durchzieht er Leib und Seele mit feinem Sägedraht, wiedererstanden der mythologische Cheiron in mir, der für jeden Heilung wusste, nur für sich selbst nicht, dessen Wunde ebenso immer wieder aufbrach.
In diesem Schmerz verlor sich wieder einmal Meinerselbst, die Person zersplitterte, da war nur noch der Raum, in dem mich andere behandelten, mittels Spielkreuz meine Fäden bewegten, ich selbst war in seine Wände entwichen, respektive die Wände des Raums, die Idee von mir, hatten mich absorbiert. So überlebte ich, als Raum, ließ eine Marionette in ihm … – Wo ich dies hier niederschreibe, meine ich, ich hätte dieses Bild schon etliche Male beschrieben. Es scheint mir so selbstverständlich gegenwärtig. Ja, ich habe es öfters schon erwähnt, ich selbst als zentraler Raum in den viele Türen führen und je nachdem, welche Tür geöffnet ist, erlebe ich mich mal so, mal so, mal still, mal konkret, mal flüchtig. Nur als eins möchte ich mich nicht mehr erleben, als das Abbild, das meine Betrachter in diesen Raum projizieren. Ich will nicht mehr nach der Pfeife, nach dem Ton, nach der Stimmung jener tanzen, die mich nach ihrem Bild erfinden. Nein, ich will keine Marionette sein, die die Puppenspieler, die Täterinnen bedienten und jetzt ein UBSKM bedienen will, auf dass ich ein Spiel nach seinen Regeln spiele. – Nein, ihr missbraucht mich nie wieder!
Den Schmerz soll ich fühlen, ihm in mir nachspüren, meint M.R. Es dauert eine Weile bis wir an diesen Punkt angelangt sind, noch kurz zuvor hatte ich noch mäandert, als könnte ich durch hundert Schleifen, diesen Punkt umwinden, ohne ihn zu tangieren. Einhalten. Wo fühle ich den Schmerz? Wie fühlt er sich an? In der Brust spüre ich ihn. Es ist das Herzchakra, das wie eine offene Wunde schmerzt. Das geöffnete Herz der Marien- und Christusbilder, das mitleidige Herz, das belebende, das kraftspendende, das heilsame, das wärmende, das weite Herz … mit einem Mal öffnet es sich, wird weit, wird zur Sicht, die ich in dem Haiku zusammengefasst hatte, wird zum Wunder, ich fließe in seine Weite, werde zu seiner Weite, bin seine Weite, dieses Bild befriedet mich, lässt den Schmerz verwehen. In der Ruhe wird mir deutlich, dass es womöglich das sein könnte, was ich suche. Womöglich ist diese Person, dieser Raum, der sich der Weite öffnet, der sie einlädt, womöglich ist das das, was ich unter komplett werden, komplett sein verstehe und kein verengtes konzentrisches Ich, wie es mir andere immer wieder versichern, dieses in sich gründelnde, selbstbewusste, sich selbstversichernde Ich. Vielleicht ist das für mich zu eng, zu kleinkariert – nein ich meine es nicht hochmütig, sondern engmaschig. Nein, ich denke an die Weite, die Weite, die ich zuvor sah, es war der alles einbegreifende Blick auf meine Heimat, die mich auf der Herfahrt still staunen ließ und mir für einen Augenblick umfassendes Glück vermittelte.
So schreibe ich von hinten nach vorne, denn das Haiku rezitierte ich erst gegen Ende der Stunde, nachdem ich den Schmerz ergründet hatte, nach dem ich in der Weite gründelte und ihn dabei verlor. Das Bild begleitet mich auch zwei Wochen nach der Stunde noch und hilft mir, zu mir zu finden und auch einzuschlafen. – Und wieder komme ich zum Anfang, als ich noch mäanderte und nach Bildern suchte, meinen Zorn über die Missachtung durch den UBSKM auszudrücken, der von sensibler Sprache faseln und mich maßlos triggern ließ. Diese Missachtung ist Teil der allgemeinen Respektlosigkeit gegenüber Missbrauchsopfern, die allen Gemeinen nur Freaks, Abseitige, sind. Nicht sie sondern sich aus, sondern sie werden durch Achtlosigkeit ausgesondert, zur Seite geschoben.
M.R. meint, dieser allgemeine Abwehrreflex gleicht meinem Verhalten, als ich mich selbst über viele Jahre mit Arbeit mittelbar zur Seite geschoben hatte, um überhaupt überleben zu können. Der ganze Missbrauch, die ganze Gewalt und das traumatische Nachwirken waren schlicht zuviel, zu unerträglich, weswegen ich selbst versuchte, das Trauma in mir zu verdrängen, den inneren Freak, das verletzte Kind, mich selbst zur Seite zu schieben. Das gleiche Verhalten bildet sich in der Gesellschaft ab, die mit einer unvorstellbaren Monstrosität konfrontiert wäre, und sie deswegen gar nicht an sich heranlassen kann, denn ihr fehlt schlicht die notwendige Vorstellungkraft, um sich überhaupt darauf einlassen zu können. Es fehlt das Auffassungsvermögen und deswegen herrscht nur Fassungslosigkeit, die letztlich den Verdrängungsimpuls setzt.
Dabei verlangt es mir gar nicht nach Mitleid, eher nach Mitgefühl, aber noch mehr nach simplen Respekt, das heißt Anerkennung und Achtung und nicht Ausschluss, weil man unangenehme Wahrheiten vertritt und anspricht, weil man – oder ich – nicht politisch korrekt ist und die Floskeln und verfälschenden Relativierungen nicht dulden möchte und entsprechend Klartext verfasst. Der schlichte Respekt vor einem Opfer …
Also erzählte ich vom Café in der Maxburg, in dem ich als Lehrling öfters am Tresen saß. Die Wirtin hatte eine weiße kurzärmelige Kittelschürze an. Ihre Unterarme waren meistens unbedeckt, und man sah auf ihrem linken Unterarm die Nummer, die man ihr in Auschwitz darauf tätowierte. Sie war eine Überlebende. Sie war in der Hölle und war ihr entkommen. Ihr Café war ihr Schutzraum, in dem sich auch andere Überlebende trafen. Damals waren alle älteren deutschen Juden Überlebende. Aber das Heilige, ja das Gute war die Selbstverständlichkeit, wie in diesem Raum diesem ungeheuerlichen Schandmal begegnet wurde, diesem Zeugnis eines unvorstellbaren Verbrechens: Es wurde erfasst und verstanden und somit schlicht respektiert. Jeder sah es, jeder lebte für den Moment damit, sah die Person, sah das Schandmal, das nicht auf die Person, sondern auf die Täter verwies, man sprach, aß, trank und lachte miteinander und jeder spürte den Bordun des Leids, der im Raum schwang und das gelegentlich auch beredet wurde. Das Heile war vor allem der Respekt, mit dem man miteinander umging. Mit den Überlebenden war ihr Leid und das Verbrechen gegenwärtig … Doch auch hier endete es an der Tür, darüber hinaus war kein Raum für diesen Raum. Er blieb eine Insel. So leben wohl alle Überlebenden auf einer Insel …
So ist es. Wir fühlen uns auch nur unter unseren Gleichen wirklich verstanden, mit allem respektiert, wo alles sein darf. Wenn auch nicht immer, dann man versucht auch aus Rücksicht keine Trigger los zu treten, nur weil man Dinge gerne teilen möchte. Also ist man sehr bedacht, hält vieles zurück, was eigentlich Raum bräuchte…
Trotzdem, wo sonst fühlt man sich nicht wie ein „Außerirdischer“ oder „Aussätziger“?
In der Gesellschaft tut man so, als gäbe es kein uns, keine schlimme Vergangenheit. Man will ja nicht als verrückt gelten oder gemieden werden, weil man so schwierig ist. Also passt man sich an – so gut wie möglich.
Ja, die Gesellschaft, die mit Scheuklappen läuft, die alles was nicht sein kann ausblendet. Alles ignoriert oder bekämpft, was nicht der Norm entspricht. Wo Hilfe nur proforma existiert, um den Schein zu wahren, die sich aber keineswegs auf das einlässt, was tatsächlich gebraucht wird.
Aufregen auf hohem Niveau – sagen viele – denn wir können froh sein, dass es in Deutschland so viel Hilfe gibt. In anderen Ländern gibt es nicht mal jene Pseudohilfe, da gibt es nichts. Da sieht man die Kinder auf der Straße verhungern, oder in der Prostitution und es kräht nicht mal eine Krähe danach…
Die Welt ist echt schlimm!
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