Gestern meldete Radio Vatikan (siehe hier), dass Marie Collins, das letzte verbliebene Missbrauchsopfer in der Päpstlichen Kommission für Kinderschutz, die Kommission verlassen hatte. Damit bleibt von nun an die Geistlichkeit in der Kommission ganz unter sich. Bereits vor einem Jahr hatte das zweite Missbrauchsopfer, Peter Sanders, der achtzehnköpfigen Kommission den Rücken gekehrt, nachdem ihm in einer Abstimmung 14 der 15 Mitglieder das Misstrauen ausgesprochen hatten. Es lässt sich leicht denken, wer das einzige Mitglied war, das ihm vertraute.
Wenn man das Interview von Julius Müller-Meiningen mit Peter Sanders bei italienreporter.de (siehe hier) liest, kann man die aktuelle Mitteilung von Radio Vatikan auch nur als eine euphemistische Verlautbarung verstehen. In diesem Interview wird deutlich, dass Papst Franziskus scheinbar ernsthaft den Wunsch hegt, den Missbrauchsskandal der katholischen Kirche aufzuklären; dass ihm hierfür aber auch der notwendige Wille fehlt, sich über bestehende Seilschaften hinwegzusetzen. Diese Schwäche des Papstes, nach dem Motto „in curia primum“ (die Kurie zuerst), lässt auch im jüngst aufgedeckten tausendfachen Missbrauchsskandal der katholischen Kirche in Australien (siehe hier) nichts gutes erwarten.
Offensichtlich fehlt in der katholischen Kirche der Mut und der Wille, geschehene sexualisierte Gewalttaten gründlich aufzudecken und hieraus klare Schlüsse zu ziehen. Anscheinend meint man, man könnte diese Verbrechen ebenso aussitzen, wie es die evangelische Kirche konnte, die hierzulande für ihre Kindsmisshandlungen und den Kindesmissbrauch in ihrem „kirchlichen Ambiente“ – wie es der Papst für seine Kommission umriss – von der veröffentlichten Meinung und vor schrillen Bezichtigungen der Grünen Partei weitgehend verschont blieb. Wobei wir mittlerweile wissen, dass die schrillen Töne der Grünen allein dem Gaunerreflex: „Haltet den Dieb!“, geschuldet waren.
Und sollte Papst Franziskus doch noch über den langen Schatten des Missbrauchs seiner Kirchen springen und in der Tat, Taten verschleiernde Kirchenfürsten, die einzig wirksame Lektion erteilen, indem er sie laisiert und weltlichen Gerichten überlässt – was niemals geschehen wird -, dann sollte er zu guter Letzt auch noch den Codex 1083 ändern und die Ehemündigkeit von 14 Jahren für Mädchen und 16 Jahren für Jungen auf 18 Jahre erhöhen. Denn andernfalls muss sich der Vatikan weiterhin den Vorwurf gefallen lassen, der Kinderehe und damit auch dem Kindesmissbrauch Vorschub leisten zu wollen.
Letztlich bleibt mir nur festzustellen, dass ich das Geschehen um die Päpstliche Kommission für Kinderschutz und das unkooperative Verhalten der katholischen Kirche als einen Schlag ins Gesicht aller Opfer sexualisierter Gewalt empfinde. Es ist eine besondere Art von Opferdiskriminierung, wenn man Überlebende dieser Verbrechen in eine Kommission beruft, um sie alsbald, sobald sie sich als nicht gängelbar erweisen, wieder expediert. Dies zeigt, was man in Wahrheit von Überlebenden sexualisierter Gewalt hält: nämlich nichts. Ja, man macht ihnen – so meine Auffassung – gar unausgesprochen den Vorwurf, am geschehenen Verbrechen mitschuldig zu sein; ja, womöglich die braven gottgeweihten Männer mit ihrer kindlichen Lüsternheit verführt zu haben. – So aber verkehrt man den Aschermittwoch, diesen bedeutenden Bußtag eigener Schändlichkeit, und verhöhnt die Opfer zur eigenen Rechtfertigung.
Nachtrag
In einem Interview mit Radio Vatikan (siehe hier) äußerte sich mit Pater Zollner, ein Mitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission zu dem Rückzug von Marie Collins. In typisch jesuitischer Rabulistik widersprach er den Meldungen, dass nunmehr die Geistlichkeit wieder ganz unter sich erfolgten Missbrauch behandelt und meinte dazu:
„Das stimmt formal nicht! Peter Saunders, der letztes Jahr von unserer Seite aus beurlaubt wurde, wollte und will, soweit ich weiß, bis heute nicht aus der Kommission austreten. Also, auch das ist nicht richtig.“
Insgesamt stellt das Interview nur ein Kännchen Öl dar, das auf die Wogen gegossen wurde, um sie zu glätten. Was also Transparenz bedeuten sollte, wirkt auf mich, wie den Teppich anzuheben, um den Dreck darunterzukehren.
Klarer erscheint, wenn man Marie Collins zuhört, die subtile Sabotage der päpstlichen Weisung durch die Kurie, gegenüber den Opfern offen und respektvoll aufzutreten, um ihr Leid nicht noch zu vermehren. Sie äußerte sich in einem Interview mit dem jesuitischen americanmagazin.org (siehe hier), indem sie erklärte, was für sie der Tropfen war, der das Fass zum überlaufen brachte. Es war die Weigerung der zuständigen Abteilung der Glaubenskongregation, der Empfehlung der Kinderschutzkommission zu folgen und eingehende Schreiben von Opfern zu bestätigen und sie über den Verlauf ihrer Eingabe zu informieren.
Die Opfer erhielten also nicht einmal ein Brieflein aus dem Vatikan, dass die Anzeige ihrer Vergewaltigung oder Misshandlung durch einen Kleriker angekommen ist und bearbeitet wird. Diese Missachtung war bislang so Usus und das Diskaterium hielt es nicht für nötig, von dieser Gewohnheit abzurücken. Damit wird deutlich, welche Reaktanz und Indolenz im vatikanischen Mief wirkt, wenn den Opfern selbst ein Mindestmaß an Respekt verweigert wird. – Und ganz nebenbei erscheint der Vatikan mal wieder, als ein Augiasstall in dem allüberall Seilschaften damit beschäftigt sind, ihre eigenen Süppchen zu kochen.
Nachtrag 2
Die Annahme von Collins und Sanders, dass der Papst nicht weiß, wie seine Weisung umgangen wird, stellt sich nach jüngsten Berichten wohl als zu gutmeinend heraus. Demnach ist es der Papst selbst, der in autokratischer Selbstherrlichkeit speziell in Sachen Kindesmissbrauch mit zweierlei Maß misst und ihm gefällige Priester verschont und gar rehabilitiert. So berichtet katholisches.info, dass die Vatikan-Korrespondentin Nicole Winfield von AP, dass der Papst seine Nulltolleranzlinie willkürlich aufhebt. Sie erwähnt
den Fall von Don Mercedes. Der italienische Priester war von der Glaubenskongregation für schuldig befunden, aber von Papst Franziskus begnadigt worden. Auf diese Weise ungeschoren davongekommen, suchte sich Don Mercedes, alias Mauro Inzoli, neue junge Opfer und wurde inzwischen von einem italienischen Strafgericht verurteilt.
Außerdem hat der Papst drei Mitarbeiter der Glaubenskongregation entlassen, die mit Fällen sexualisierter Gewalt durch Priester zu tun hatten, weil sie für Freundschaftsdienste nicht empfänglich waren. (Quelle: katholisches.info)