Sexualisierte Kindesmisshandlung

Zu meiner Zeit, ich bin 1950 geboren, galt eine Watschn noch als normale Zurechtweisung, wenn man als Kind mal über die Stränge geschlagen hatte. Doch was der Vater uns Kindern an Prügel antat, war purer Sadismus und die Art seiner Exekutionen waren stets auch sexuell konnotiert. Denn er schlug mit dem Rohrstock stets auf das nackte Gesäß und pflegte vor der Exekution mit seiner Hand über den noch unversehrten Hintern zu streichen. Seine Spuren mit dem Rohrstock setzte er präzise, einen neben den anderen. Meist waren es zehn Hiebe, manchmal fünfzehn und in extremen Fällen gar dreißig. Sie waren immer blutig.

Nach einer Exekution pflegte er häufig, sich auf dem Diwan auszuruhen und das verprügelte Kind, sobald dessen Tränen getrocknet waren,  herbeizurufen, um mit ihm zu schmusen. Vielleicht erregte ihn diese zusätzliche Demütigung noch zusätzlich.

Diesmal zeige ich zwei Bilder auch einem vierteiligen Zyklus, in dem ich die Zeichen seiner Exekutionen festhielt. Dazu stelle ich auch zwei Auszüge aus meinem Therapietagebuch, die sich auf das Thema beziehen.

10. Mai 2013

Im Grunde meines Herzens möchte ich der Stunde enteilen. Im Grunde meines Herzens möchte ich die Stunde durchstehen. Die zwei Bewegungen zerren in mir. M.R. hilft mir, indem sie die Wesenszüge der Polarität abfragt. Da ist der Vernünftige und da ist das verschüchterte Kind. Ja, da ist die Angst vor erneuter Beschämung.

Das Thema der Exposition will mir anfänglich nicht über die Lippen. Dann zwinge ich mich. Stecke irgendwo im kalten Raum innerer Distanz. Spreche das Thema an. Mein Zwiespalt ist offensichtlich. Mann und Kind arrangieren sich. Ich verspreche meinem furchtsamen Anteil, ihn zu beschützen. Wir beginnen mit der Exposition.

Die Erinnerung daran ist im Detail vage; hingegen gibt es deutliche Erinnerungen an Stimmungen und Gefühle. Das Gefühl des malträtierten Hinterns bleibt mir bis spät in die Nacht. Danach werde ich daheim drei Stunden tief und traumlos schlafen. Die Stimmung während der Exposition war erschöpfend. Während der EMDR-Bewegungen bleiben die Bilder hintergründig vage. Doch dann entfalten sich in mir die Gefühle, die die Bilder mit sich tragen. Es sind schreckliche Momente, sie schmerzen, wie Stockhiebe. Meine Sohlen trommeln auf den Boden, ich winde mich. Tränen schießen, kullern die Wangen herab. Die Irritation darüber ist groß, wer, was in mir leidet. Wer hat den Schmerz. Es ist in mir, durchdringt mich. Irgendwann sagt M.R.: „Und das alles ist vorbei.“ Für sich eine banale Feststellung, doch jetzt fällt sie auf fruchtbaren Boden. Es ist wirklich vorbei. Der Mann atmet auf, das Kind traut dem Frieden noch nicht ganz. Doch es ist vorbei. Eine Einsicht, die zugleich Wahrheit ist. Der Schmerz wandelt sich, wird erträglicher. M.R. greift Situationen auf, lässt sie mich intensiver betrachten, führt ihren Finger. Wieder verblassen die Bilder dazu, um mich danach, nach der kurzen hypnotischen Absence, mit ihrem emotionalen Gehalt heftig anzufluten. Ich weiß die Reihen nicht mehr, erinnere mich auch nur noch vage an die Bildinhalte, mal war es die Beschämung, mal …

Es ist unwichtig, was es war. Es war die ganze Schändlichkeit, die mir angetan worden war, und ich ertrage sie, ohne ihr auszuweichen. Es ist ein anderes Erleben als eine Intrusion. Hier stürzen keine Bilderfassaden auf mich, um mich zu erschlagen. Hier ist der Finger, sind die hintergründigen Bilder und dann die Gefühle, die mit ihnen verbunden sind. So wiederholt sich ein Schritt nach dem anderen. Tränen fließen. – Zwischendurch sehe ich M.Rs. Mitgefühl in ihren Augen und schäme mich, dass ich ihr das antue; erkenne im selben Augenblick die Abstrusität diese Empfindung und belasse was ist. – Der Schmerz durchströmt mich vom Kopf bis zu den Sohlen. Ich streichle mich. M.R. singt „Heile, heile, Segen“, es tröstet mich und erschreckt mich zugleich, denn da entsteht das Bild der Mutter, die es auch sang, kalt und fern. Das Bild verschwindet, wie ich es benenne. Zurück bleibt der Trost, dass es so geschieht, ist zweimal tröstlich. Der erlebte Schrecken hat für einen Moment seinen Schrecken verloren. Dann sehe ich mich gegen Schluss der Stunde, ich nehme mich selbst in den Arm, umfasse mich. Es ist schön. Ich liebe mich. Ruth hätte mich in den Arm nehmen dürfen, niemand sonst, obwohl mein Verlangen, gehalten zu werden, in diesem Augenblick sehr stark war. Irgendwann spreche ich von der Schönheit der Einsamkeit. Da ist dieses stille Heilsein meiner Kindheit, der Raum in mir, in dem das Kind Heimat hatte. Jetzt kehre ich wieder ein in diese Heimat. Richte mich in mir ein, spreche davon, dass ich mich in mir einkuschele. Es ist schön, in mir, mit mir. Der große Raum heilt die kleinen Räume.

24. April 2015

Samstag. Beim morgendlichen Zähneputzen springt mich in einem Flashback der prügelnde Vater aus dem Spiegel an. Ich sehe die Striemen auf meinem Hinterteil, wie ich sie mir damals manchmal im Spiegel angeschaut habe; vor allem dann, wenn ein paar davon auch nach Tagen noch nicht ausheilen wollten. Dann sah ich neben den abgeschwollenen braungelbmarmorierten Blessuren, die verschorften und nässenden Wunden, wo der Stockhieb die Haut am Gesäß aufgerissen hatte. Aus frischen Striemen perlte nach einer Tracht Prügel das Blut oft leicht wie Schweiß. Die Wunden waren dann erhöht, wobei ein weißer Hof, das Rot der Schwellung noch betonte. Jedenfalls riss mich das Flashback in einen tiefen Schatten, in dem es wiederholt feuern konnte. Ich schnüffelte am Amberkästchen und malte ein Bild vom Schrecken,  eine von Striemen gezeichnete Kehrseite, das mich wiederum stark triggerte, so hing ich einer Schleife fest. Es war ein trauriger Tag. Erstmals nach langer Zeit dachte ich daran, dass Drogen eine Lösung wären – eine Lösung, um mich zu vernichten. Der Selbstmord auf Raten, das allmähliche Versinken in der Dunkelheit. Die Anpassung an das Elend. Spätabends war ich in der Gruppe; konnte aber den Anlass meiner Schwermut als Thema dort nicht aufgreifen. Ich hatte dazu keine Stimme. Sprachloses Entsetzen, der partielle Mutismus des Opfers … Gleichwohl konnte ich aber über meine suizidale Stimmung sprechen und kam dabei zu dem Schluss, dass ich den Schändern diesen Gefallen nicht tun werde, mich derart pervers zu vernichten; denn dann hätten sie mit meinem Ende noch gesiegt; ihre Schändlichkeit vollendet. Nein, in Eure Hölle fahr ich nicht … Zwei Bilder zum Thema stehen mittlerweile im Fenster, vor dem bislang mein Bildschirm stand. Das Sonnenlicht fällt im steilen Winkel auf die angelehnten Malblöcke, als wollte es alte Wunden heilen. Es wird nur ein kurzer beschienener Moment sein.

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