Eine traumatisierte Gesellschaft triggert ihre Opfer

19. Februar 2024

Die neue Ordnung
Verschluckt all jene, die ihr
Den Weg bereiten.

Wieder mit dem Zug nach Mindelheim. Es ist die Weltlage als auch die Binnenlage, die meine Stimmung verschatten und mich zu beiden soweit positioniere, auf dass ich überleben kann. Ein dissonanter Bordun temperiert mein Gemüt und begleitet mich mit meiner kPTBS. Es schmerzt mich. Allüberall Kriegshetze und wer nicht mithetzt ist Russenfreund und Nazi, so wie zuvor jeder Impfgegner in der Coronapandemie ein ausgemachter Nazi war. Lachhafterweise wäre ich für den Mob ebenso ein Nazi, weil ich gegen die Ampel und Nie-wieder-ist-jetzt-Demonstrationen bin, auf denen Spießer mit Wollmützen auf dem Haupt für den Machterhalt der Versagerregierung demonstrieren. Ich weiß, das ist kein Thema für die Therapie, aber die Angst, die ich darob empfinde, ist hier am richtigen Ort; denn sie treibt mich um, wo doch die Eltern von mir, der Vater – der Täter, die Mutter – die Täterin, einst der eine von echten Nazis wegen Rassenschande ins KZ verschleppt wurde, während die andere aus einem Nazihaushalt stammend, als Kind auf dem Schoß des späteren Blutrichters Freisler saß. Da prallten Zeitläufte aneinander und deren Irrsinn wird nunmehr in verrückter Weise von vermeintlichen Gutmenschen paraphrasiert. Währendem triggern in mir ererbte Traumata und adaptierte Angst aus Elternhaus und Nachkriegszeit. Ich bin beunruhigt und angespannt, misstrauisch und anlehnungsbedürftig, und ich rette mich ins Private, in meinen kleinen Kreis, und fürchte mich vor dem unterschwelligen, gewalttätigen Potential, das durchbricht und zugleich in pseudozivilisierter Weise hinter verlogenen Fassaden verborgen wird. Sie – die da draußen – wollen schützen, bewahren und sind zugleich voll Mordlust und Zerstörungswut. So wird auch mein eigenes Trauma getriggert und Furcht und Angst entfalten sich in meiner Seele, in meinem Solarplexus, in meinem Gedärm. Ich fühle mich gelähmt. Die Geister, vor denen ich mich fürchten sollte, rücken mir nahe, doch ich weiß es wieder mal nicht so genau, ob ich mich fürchte, ob ich es empfinde oder wer oder was, das in mir Ich sein könnte, sich wie zu all dem positionieren sollte.

Jedenfalls wurde der traumatische Irrsinn der Eltern zu meiner Plage, klandestin als auch konkret, indem sie mich missbrauchten und eine ständige Bedrohung darstellten; etwa die Mutter, die mich abstechen wollte, als auch der Vater, dessen cholerische Ausbrüche von sadistischer Gewalt begleitet waren. Ich erzähle M.R., wie er mich einmal im Rausch verprügeln wollte und ich mich daraufhin im Klo einschloss. Eine halbe Stunde lang versuchte er mit einem Schraubenzieher, den Riegel über die Nut zu öffnen, während ich von innen den Riegel – um mein Leben fürchtend – verzweifelt festhielt. Schließlich gab er auf. Ich wartete noch eine gute viertel Stunde, bis ich mir sicher war, dass er aufgegeben hatte.

Jedenfalls wiederhole ich meine Einsicht, wie ich den gesamtgesellschaftlichen Irrsinn abweisen kann, indem ich mich ins Private zurückziehe, mich mit Dagmar in unserer Wohnung verschanze und Menschenansammlungen möglichst vermeide. Eine Kommunikation darüber ist nur mit wenigen möglich. Sehe ich doch die Strukturen und Konstellationen, der von den „erwachten“ Spießern beschworenen Vergleiche zum Niedergang der Weimarer Republik gründlich anders und erkenne die aktuelle Gefahr eben in dieser Regierung und ihren „mutigen“ Verteidigern auf der Straße.

So komme ich auf meine Kindheit zu sprechen, die ich in den 50er und 60er Jahren verbrachte, als überkommene autoritäre Strukturen Kindesmissbrauch verbargen und ich als Kind keine Chance hatte, mich einem Jugendamt anzuvertrauen. Wobei diese Strukturen vor allem für Jungen heute nach wie vor, zwar gewandelt aber in ihrer Konsequenz unverändert geblieben sind. Damals war die Schreckensinstitution für uns Kinder die Herzog-Sägmühle. Ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche Misshandlung und Missbrauch ausgesetzt waren, und von dessen Schrecken Kinder, die von dort zurück ins Heim kamen, berichteten. Die Herzog-Sägmühle war damals so ziemlich jedem Kind in Oberbayern und Schwaben als die Hölle aller Kindheit ein Begriff. Auch M.R. wusste noch von diesem Schreckensort, der als übles Beispiel in ihre Ausbildung wirkte. Heute sind es neben sattsam bekannten Schrecken der Pflegefamilien eben die feministischen Strukturen in den Jugendämtern, die Kinder abhalten dort um Hilfe zu bitten.

M.R. meint, dass diese Stimmungen, ihr Unterbau als auch ihr Überbau, Ausdruck einer insgesamt traumatisierten Gesellschaft wären. Zudem werde gegenwärtig viel dafür getan, neue traumatische Strukturen aufzubauen, die auf dem alten Gerüst des Schreckens gründen. Dieses Gewerk wird von einem ideologischen Eklektizismus zusammengehalten, der ebenso autoritär ist wie jene böse Vergangenheit, die die Protagonisten der woken Erzählung wahnhaft abschwörend zitieren. Schließlich formen all jene, die sich als die bessere, erwachte Gesellschaft verstehen, nur ein gleichermaßen autoritäres Schreckbild wie in so vielen Bewegungen davor, die allesamt letztlich nur Meuten meuchelnder Spießer waren, die sich gegen ihren Machtverlust oder ihre Ohnmacht wehrten und so eine neue, jedoch immergleiche Gewalt installierten.

Die geschilderte aktuelle Wahrnehmung und dazu die erinnerten Parallelen des eigenen erlebten Missbrauchs versetzen mich in eine spürbare Distanz zu mir selbst. Ich schildere weitere Aspekte meines Missbrauchs, die mich anfluten, ebenso die in letzter Zeit vermehrten Momente zu denen ich an die Geschwister als auch die Täter denken musste. Es ist ein Aufscheinen, als spürte ich die Fesseln meiner Geschichte, von der ich mich eigentlich längst befreit wähne. Dennoch ich spreche diesmal in der Stunde gar über drei Ecken von mir, so sehr belastet mich der politisch korrekte gesamtgesellschaftliche Druck, sich zur woken Seite zu bekennen. Konkret spricht „Er“ über „Ihn“, der seinerseits stets von „Ihm“ als „Er“ spricht, wenn er seine eigene verlorene, zersplitterte Wesenheit meint, die von Scham verschattet ist, selbst wenn ich mich dank erfolgreicher Traumatherapie scheinbar nicht mehr schäme, weil wissend, nicht mehr schämen muss. Doch in dieser gesellschaftlichen Atmosphäre voll massiver Indoktrination, bin ich gleich einem Seismograph, der jedes Seelenbeben und jedes woke Windchen registriert. Folglich empfinde ich mich in einem insgesamt gewalttätigem und unsicherem Umfeld, umfasst von der unbarmherzigen Autorität der Selbstgerechten – eine Stimmung wie einst im evangelischen Waisenhaus –, und bin wie einst wieder dabei, mich zu suchen, zu sortieren, auszurichten und mir Masken zuzulegen, um mich einerseits zu schützen und andererseits nicht selbst zu verraten. Auch damals gab es dort nur ein richtig oder falsch, und das war in keiner Richtung verhandelbar. Sich selbst zu verleugnen bot die Chance zu überleben. Doch du würdest dich darob verlieren, wenn es dir nicht gelänge, einen Ort in dir zu finden, an dem du dich verbergen kannst und selbstbehütet bleibst. – Nein, ich lasse mich nicht mehr von den Falschen und Scheinheiligen belehren, was richtig ist.

Dazwischen übermannte mich kurz eine Dissoziation. Ich bemerkte mein Weggleiten samt sich aufbauender Absence sofort, sagte es, und M.R. schob eine Übung ein, um mich zu erden. Erst jetzt bei der Niederschrift des Stundenverlaufs wird mir klar, wie sehr sich äußere Umstände und inneres Erleben chaotisch verschränken und wie achtsam ich sein muss, um einen möglichen Regress zu vermeiden. Jedenfalls sind die somatischen Beeinträchtigungen insbesondere Ekzeme, Urtikaria und Keratose auffällige Erscheinungen, die mein Seelenbeben begleiten. Also werde ich weiter darauf achten, mir meinen Raum physisch und psychisch zu bewahren; wenigstens habe ich dank neuem Bett einen außergewöhnlich guten, erholsamen Schlaf.

Zum Schluss erwähne ich, dass Dagmar mich, nachdem sie mein letztes Bild zur Therapie sah, öfters den Kopf streichelt, um mich zusammenzuhalten, und dass sich mit uns beiden zwei schwer verletzte Seelen gefunden hatten, um gemeinsam zu überleben. Es gelingt uns Tag für Tag, nachdem wir beide vor über 40 Jahren nur knapp dem Drogentod entkamen. Also bleiben wir weiterhin in einer grausamen und verrückten Welt achtsam, sauber und lebensfroh.

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