Gipfel der Heuchelei, oder Gedenktag für die Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs

Eigentlich unterliegen die Schritte zur Bitte um Vergebung einem über Jahrtausende tradierten kulturell übergreifenden Ritual. Sie sind nicht beliebig, und kein Schritt sollte vor dem anderen getan werden. Hat jemand Schuld auf sich geladen und hält sich nicht an das Ritual, verweigert er seinem Opfer den nötigen Respekt und straft es in subtiler Weise mit Missachtung. Er schädigt es ein zweites Mal. Ja, er schädigt sein Opfer womöglich noch tiefer als mit seiner eigentlichen Tat; denn er verletzt nicht nur seine Ehre, sondern vergiftet durch die Herabwürdigung auch seine Seele. Das Opfer erfährt einmal mehr, diesmal überaus klandestin, ich bin nichts wert. Diese Respektlosigkeit ist ob ihrer Subtilität deshalb so tief verletzend, weil das Opfer es meist erst viel später bemerkt, was ihm alles versagt wurde. Andererseits ist die Ignoranz des Rituals und somit der Gefühle des Opfers keineswegs absichtslos, vielmehr will der Täter seine Macht über das Opfer weiterhin behaupten und viktimisiert es so ein weiteres Mal. Seine Vergebungsbitte ist im Grunde tückische Schändlichkeit.

Vergebung verlangt zuallererst Reue. Der Täter muss sich ohne Abstriche zu seiner Untat bekennen und sie von Herzen und nicht nur durch Worte bereuen. In einem nächsten Schritt muss der Täter seine Reue durch Taten belegen; das bedeutet er muss Buße tun. Diese Buße kann eine auferlegte und angenommene Strafe sein; sie kann ebenso eine Entschädigung sein, die dem Opfer gewährt wird; sie kann aber auch eine sich selbst auferlegte Pflicht sein, durch die der Täter seinen Willen zum Ausgleich in anderer Weise, zum Beispiel durch eine gute Tat für Bedürftige zeigt.

Erst der vollendeten Buße kann in einem dritten Schritt die Bitte um Entschuldigung folgen. Das heißt der Täter bittet sein Opfer, es von seiner Schuld loszusprechen. Dieser Ablass ist, sofern die ersten beiden Schritte durch den Täter getan wurden, eine moralische Verpflichtung für das Opfer. Der Täter hat bereut und gesühnt, die Befriedung und Ausgleich werden durch die vom Opfer angenommenen Entschuldigung besiegelt.

Vielfach wird zwischen Entschuldigung und Vergebung nicht unterschieden. Das mag gelegentlich am mangelnden Verständnis der unterschiedlichen Bedeutung beider Wörter liegen. Häufig wird jedoch der Wortsinn wie durch die katholischen Bischöfe bei ihrer Konferenz im September 2018 in Fulda bewusst missachtet. Indem sie die Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs durch Priester und Kirchenangehörige um Vergebung baten, überschritten sie eine Grenze und taten etwas unverzeihliches. Zum einen fehlten alle Schritte davor, zum anderen baten sie nicht um Entschuldigung oder Verzeihung – auf dass ihnen nicht weiter geziehen würde, sondern sie baten wissentlich um Vergebung und damit nötigten sie die Opfer ihrer Unterlassung und der Untaten ihrer Priesterschaft zu einem Ausgleich, der quasi den erhofften Gnadenakt erzwingen sollte.

Vergebung ist eben kein Verzeihen. Vergebung ist vielmehr eine Gnade, die nur das Opfer gewähren kann, indem es über die Entschuldigung hinaus, dem Täter versichert, ihm nicht mehr zu grollen, sondern ihm fortan brüderlich zu begegnen. Das allerdings ist nur möglich, wenn das Opfer, das was ihm angetan wurde, von sich weggeben konnte, wenn es ihm keine Last mehr ist. Im Zusammenhang mit sexuellem Kindesmissbrauch, den ich selbst aus meiner eigenen Erfahrung als einen Seelenmord empfinde – denn ich bin mit inzwischen 67 Jahren immer noch dabei, die Seelensplitter meiner zerbrochenen Seele zu einen -, halte ich eine Vergebung kaum für möglich.

Wer also wie die Bischöfe, als wortgewandte Prediger, den Bedeutungsunterschied beider Wörter verwischt, der will Vergebung erzwingen, indem er die Opfer noch dazu öffentlich nötigt. Er bemächtigt sich ein zweites Mal der Opfer, und er weiß genau, was er tut. Denn die Kirche ist erfahren in der Magie der Rituale und der Wörter. Magie ist ihr ureigenes Geschäft. Die Drei Heiligen Könige waren Magier, nämlich Priesterfürsten wie die Bischöfe heute. Sie wissen, wenn sie Vergebung einfordern und erhalten, sind sie vor Gott geläutert und gerechtfertigt. Jede Vergebungsbitte ist somit ein archaisches Ritual, und sie ist immer unanständig; denn nur das Opfer kann von sich aus vergeben. Es darf nicht gebeten werden. Nur dann wirkt Gnade versöhnend für Opfer und Täter. Wer anders vorgeht, entweiht diesen heiligen Akt und verhält sich im Grunde hinterhältig und somit teuflisch.

Gedenktag

Nun also hat die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) auf Anregung von Papst Franziskus den Sonntag, den 18. November 2018 zum ersten von alljährlichen Gedenktagen für die Opfer sexuellen Missbrauchs verkündet. Welch wundersame Eingebung! Es ist gut und schön, den Opfern sexueller Gewalt zu gedenken und ihnen somit einen Platz in der Gesellschaft zu geben, anstatt sie wie bislang am Rande stehen zu lassen. Nur geböte es der Anstand und Respekt vor den Opfern, dass diese in einen solchen Akt miteinbezogen werden würden. Einmal mehr zeigt sich hiermit, dass die katholische Kirche in ihrem Selbstverständnis doch eine Organisation der Täter und keine Gemeinschaft der Gläubigen ist. Denn hier wird in gewohnt paternalistischer Art und Weise ebenso über die Opfer verfügt, wie seinerzeit kriminelle Priester über sie sexuell verfügten. Man nimmt sie sich einfach!

Der Klerus hat ein schlechtes Gewissen und will sich davon erleichtern – erleichtern wie zuvor der kinderschändende Priester seine Gelüste an Knaben und Mädchen erleichterte. Man stiftet einen Gedenktag, nötigt den Überlebenden des Kindesmissbrauchs durch Fürbitten Vergebung ab und heilt somit fassadär die Gemeinschaft der Täter und Vertuscher. Es geht anscheinend um die Opfer, doch in Wirklichkeit geht es in einer Art magischem Selbstreinigungsprozess allein um die Kirche.

Der Gedenktag ist ein Gradierwerk des Missbrauchs. So wie in Kurbädern die Sole über die Reisigwände aus Schwarzdorn tröpfelt und heilsame Schwaden verbreitet, so werden hier Schuld und Sünde über die Gebetsmühlen geleitet, um die eigentlichen Verpflichtungen aus den Taten, in Weihrauchschwaden aufgehen zu lassen – nämlich die Täter bei der Polizei anzuzeigen, sie aus dem Priesterstand zu entlassen, die Akten offen zu legen und den Opfern als Sühneleistung eine bemerkenswerte Entschädigung statt Almosen zu geben.

Auch dieses Vorgehen ist bei aller guter Absicht schändlich, denn hier wird eine Lossprechung von einer narzisstischen, selbstbezogenen Institution für das eigene Wohlbefinden über die Köpfe der Opfer ihrer Untaten hinweg festgesetzt und durchgeführt. Wieder herrscht der Klerus von oben, statt in Demut zu verharren und sich die Bedürfnisse der Opfer anzuhören. Hier sehe ich keine Reue, hier sehe ich nur den Willen, diesmal die eigene ungesühnte Schuld mit Hilfe der Liturgie zu vertuschen und zu bemänteln. Die Sache soll von der Mensa, vom Altartisch, gewischt werden. Die Opfer sind nur der Dreck, der sich darauf gelegt hatte. Eine Sache für den Küster, der letztlich die Kirche auskehrt.

So sollen also in 14 Tagen Fürbitten gesprochen werden. Eingeleitet werden soll der Gedenktag durch ein großes Gebet.

Ich zeige hier das Gebet in einem Screenshot von der Webseite der DBK (siehe hier). Anschließend folgt meine Kritik an dem Gebet der Kirche, das ich für sich als auch im Zusammenhang mit dem Gedenktag als Heuchelei empfinde, in Form eines Widergebets.

Widergebet zur Fürbitte zum Gedenktag der Opfer
sexuellen Missbrauchs am 18. November

Wir klagen über zerstörtes Leben,
das niemand wieder gut machen kann
und entheben uns so auch unserer Pflicht.

Wir bekennen das Wegschauen und Nichtstun
und hätten es weiterhin so gehalten,
hätten unsere Opfer nicht gesprochen.

Wir wollen hören die Geschichten der Opfer,
und sie weiterschicken in ihre Einsamkeit.

Wir wollen sprechen von unserer Verantwortung
und es beim Reden darüber belassen.

Wir wollen Schweigen wo Erklärung und Rat
nicht angebracht sind,
so wie wir es bislang taten,
indem wir Hilfe verweigerten.

Wir wollen uns freuen
über die Stärke und Kraft der Betroffenen,
und sie mit unserer Freude verhöhnen.

Wir wollen hoffen auf die Umkehr
der schuldig Gewordenen und sie versetzen
in andere Pfarren und ihre Taten vertuschen.

Lebendiger Gott wende dich ab von uns,
denn wir sind die Täter,
die sich selbst loben und preisen.

Amen

 

6 Gedanken zu “Gipfel der Heuchelei, oder Gedenktag für die Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs

  1. >Vergebung verlangt zuallererst Reue. Der Täter muss sich ohne Abstriche zu seiner Untat bekennen und sie von Herzen und nicht nur durch Worte bereuen. In einem nächsten Schritt muss der Täter seine Reue durch Taten belegen

    …so ist es. Und genau das ist bei der Kirche nicht der Fall, auch nicht bei den früheren Missbrauchsfällen. Denn als 2012 Körperverletzung an Jungen durch Beschneidung legalisiert wurde, waren die Kirchen die ersten, die das unterstützt haben. Sie haben nach wie vor nicht begriffen, dass Jungen Menschen sind, nach der Lehre der Kirchen Gottes Geschöpfe, denen primär Nächstenliebe zuzugestehen ist und denen ohne Notwendigkeit kein Leid geschehen darf.

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