Die katholische Kirche will sich erneuern, damit alles beim alten bleiben kann

Die 21 Denkanstöße die Papst Franziskus den Teilnehmern des Missbrauchsgipfels übergeben hatte, sollen die Diskussion lenken. Sie zeigen aber auch, wessen unheiligen Geistes Kind die Kirche ist; denn es ist eine Liste der Technokraten. Im wesentlichen geht es dabei darum, wie geschehener Missbrauch gehandhabt und verarbeitet (nicht aufgearbeitet) wird; wie die Priesterausbildung verbessert werden kann, damit aus potentiellen Tätern keine Priester werden. Auffällig Raum nehmen insbesondere die Falschbeschuldigung und die Rehabilitation der Täter mit zwei eigenen Items ein. Nur ein einziger Denkanstoß widmet sich den Opfern. Kein Denkanstoß widmet sich der materiellen Entschädigung für die verpfuschten Leben der Missbrauchsopfer. Kein Denkanstoß befasst sich mit der Schuld der Kirche. Ebensowenig gibt es eine Überlegung, wie die Zusammenarbeit der Kirche mit der weltlichen Gerichtsbarkeit geschehen könnte.

Es ist ein miserables Papier, das da die Bischöfe beraten. Die 21 Punkte repetiere ich im Anhang, so wie sie auf der Internetseite von „katholisch.de“ veröffentlicht wurden.

Drei Denkanstöße möchte ich jedoch vorneweg extra hervorheben.

Zunächst den 8. Denkanstoß: Begleitung, Schutz und Sorge für die Opfer, indem diesen sämtliche Unterstützung angeboten wird, die für eine völlige Heilung nötig ist.

Fürwahr, das sind große Worte. Doch an und für sich gewöhnlich in dieser Kirche, die es versteht auf den Putz zu hauen, zu protzen und zu tönen. „Begleitung, Schutz und Sorge“ soll fortan den Opfern teilhaftig werden, deren ursprünglicher Entzug sie erst zu Opfern gemacht hatte. Die Kirche hatte versagt, hatte den Opfern Begleitung, Schutz und Sorge verweigert; erst in der Phase der Sexualverbrechen, als sie von alten Männern geschändet wurden; dann als erwachsen gewordene Überlebende, als sie soweit die Schmach überwinden konnten, um die Kirche anzuklagen. Auch diesen steinigen Weg mussten die Opfer alleine gehen; da war kein Seelsorger an ihrer Seite, der sie unterstützte, vielmehr erlebten die meisten von ihnen in dieser Weile eine weitere Schmach, indem sie oft jahrelang um die Anerkennung ihres Leids streiten mussten, weil die Täter und deren Vorgesetzte bis hinauf zum Bischof, bis hin zur Glaubenskongregation im Vatikan und weiter noch bis zum Papst das Geschehene diminuierten und verleugneten.

Angesichts dieser Pein stellt sich dann die Frage, nach der Hybris jener, die solche Denkanstöße formulierten. Wie weit weg sind sie gedanklich von den begangenen Verbrechen, wie wenig Vorstellungskraft haben sie von Sexualverbrechen, die 39jährige – das mutmaßliche erste Tatalter der Täter – an Kindern oder Jugendlichen begingen, deren Väter sie hätten sein können? Und diese Dünkelmütigen meinen, sie könnten Begleiter, der Überlebenden werden, ihnen Schutz und Sorge andienen. Vor die Füße würde ich ihnen speien, sollten sich derlei Gestalten in ihren befleckten Soutanen mir wieder nähern wollen. Nein, allein der Dünkel, sich als Begleiter aufzudrängen, ist so unglaublich sündig, dass nur ein Teufel ihn ersinnen konnte.

Und dann die Floskel „bis zur völligen Heilung“, klingt beinahe wie die schwachsinnige Note 1 im Arbeitszeugnis: „zu unserer vollsten Zufriedenheit“. Wessen Seele einmal, mehrmals zerbrochen wurde und abgestorben ist, der wird niemals mehr heil werden. Er bleibt ein Zerbrochener, der einen Seelenmord überlebte, und die Trümmer seiner Seele werden, wenn überhaupt nur unter wuchernden Narben zusammenwachsen. Wer den Seelenmord an einem vergewaltigten Kind vollkommen ausheilen möchte, der muss schon ein Gott, ein Schöpfer, sein, denn er müsste eine Seele erschaffen, die vor dem Verbrechen manifest war. Ja, diese Floskel lästert den Gott, der einst das von seinen Priestern missbrauchte Kind beseelte.

Zum zweiten der 10. Denkanstoß: Schaffung von seelsorglichen Wegen, durch Missbrauch verletzte Gemeinschaften zu heilen, sowie von Wegen der Buße und möglichen Wiedereingliederung für Schuldige.

Hier offenbart sich die Ekklesia der Scheinheiligen, der Schwerenöter und Kinderschänder. Sie will kitten, was sie zerbrochen hat; doch nicht die Kinderseelen, sondern die der Gemeinde, die sich spaltete; deren einer Teil die Kirche längst verlassen hat und deren anderer Teil, sich wegduckte, wegsah und schwieg, als der Missbrauch geschah; der das geschändete Kind und nicht den Täter zeihte. Die braven Menschen, die dem Pfarrer nachhingen, ihn auf ein Piedestal hoben, so dass er erst recht Täter werden und bleiben konnte. Da ist kaum mehr etwas zu heilen, da müsste schon der Heiland höchstpersönlich erscheinen und die Frömmler wie einst die Wechsler aus dem Tempel geißeln.

Sodann der eigentliche Punkt: „Buße und Wiedereingliederung der Schuldigen“. Mit Buße ist sicher keine Haftstrafe durch weltliche Gerichte gemeint. Vielmehr bleibt alles in der ehrenwerten Gesellschaft. Hier wird gerügt und degradiert und wieder eingegliedert. Bislang geschah das als Versetzung in ein anderes Land auf einem anderen Kontinent. Nach dem Missbrauchsgipfel wird das so leicht nicht mehr möglich sein. Also bleibt der Rückzug in Klöster oder die Verwaltung; es bleibt Camouflage, Gaukelei für die Außenwelt.

Zuletzt der 15. Denkanstoß: Einhaltung des traditionellen Prinzips der Verhältnismäßigkeit der Strafe zum verübten Vergehen. Beschluss, dass Priester und Bischöfe, die des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen schuldig sind, ihre öffentlichen Ämter aufgeben.

Nun, da wirkt sie wieder die pfäffische Sophistik oder Rabulistik. Was ist denn eine verhältnismäßige Strafe? Hierzulande kommen Kinderschänder mit Bewährung davon, die in Großbritannien für die gleiche Tat viele Jahre in den Knast gehen oder in den USA gar lebenslänglich bekommen. Welche Strafe ist verhältnismäßig? In den Augen der Kirche dürfte wohl allein die Anklage vor einem weltlichen Gericht Schmach und Strafe genug für einen Täter sein.

Schließlich noch, dass die Täter, gleich ob Bischof oder Priester, ihr öffentliches Amt aufgeben müssen. Potzblitz!, das sind Strafen, die jedermann in der Soutane fürchten muss. Das öffentliche Amt ist perdu; kein Buffet zum Neujahrsempfang, keine Einsegnung der nächsten Kirmes mehr, sondern brav im klösterlichen Kreuzgang seine Runden drehen!

Diese 21 Denkanstöße sind Mumpitz. So wie die Zahl 21 symbolischer Mumpitz überkommener Thëurgie (Gottesbeschwörung) ist. Dreimal sieben gleich dreimal sieben Schöpfungstage, als wollten die Pfaffen sich eine neue Kirche schaffen. Nein, die Zeiten des Bühnenzaubers am Hochaltar sind vorbei. Es müssen Taten folgen. Die da wären: Öffnung der Archive; Aufdeckung aller Missbrauchsfälle; Anzeige aller Täter; Verzicht auf die Verjährungseinrede; Entlassung aller Täter; echte Entschädigung der Opfer, wenigstens 100.000 € pro Person und Tat; Einrichtung des Sechs-Augenprinzips, das heißt kein Kleriker darf jemals noch mit einem Kind oder Jugendlichen allein sein; Aufbrechen der Hierarchie und Kirchengeheimnisse; Zulassung externer Ermittler bei Missbrauchsfällen. Diese Liste könnte noch länger sein, doch sie wäre ein tatkräftiger Beginn. Aber keine Bange, sie wird nicht umgesetzt werden. Diese Kirche geht lieber zugrunde, als dass sie sich reformiert.

Die 21 Punkteliste

1.  Erarbeiten eines praktischen ‚Vademecum‘, in dem Schritte spezifiziert werden, die von kirchlichen Autoritäten in sämtlichen Schlüsselmomenten von Missbrauchsfällen zu unternehmen sind.

2. Schaffung von Strukturen zur Anhörung, bestehend aus qualifizierten Experten, in denen auch eine erste Unterscheidung der Fälle der mutmaßlichen Opfer erfolgt.

3. Festlegen von Kriterien zur direkten Einbindung des Bischofs oder Ordensoberen.

4. Schaffung gemeinsamer Vorgehensweisen, um Anschuldigungen zu prüfen, zum Opferschutz und zum Recht auf Verteidigung der Beschuldigten.

5. Information der übergeordneten zivilen und kirchlichen Autoritäten mit Blick auf zivil- und kirchenrechtliche Normen.

6. Ausführen periodischer Überarbeitungen der Protokolle und Normen zum Kinderschutz in sämtlichen pastoralen Strukturen; Protokolle und Normen, die auf den Prinzipien von Gerechtigkeit und Nächstenliebe basieren und die integriert werden müssen, damit das Handeln der Kirche auch in diesem Bereich ihrer Mission entspricht.

7. Festlegen spezifischer Protokolle zum Umgang mit Anschuldigungen gegenüber Bischöfen.

8. Begleitung, Schutz und Sorge für die Opfer, indem diesen sämtliche Unterstützung angeboten wird, die für eine völlige Heilung nötig ist.

9. Schärfung des Bewusstseins für Ursachen und Folgen sexuellen Missbrauchs mit Hilfe ständiger Bildungsinitiativen für Bischöfe, Ordensobere, Kleriker und Pastoralreferenten.

10. Schaffung von seelsorglichen Wegen, durch Missbrauch verletzte Gemeinschaften zu heilen, sowie von Wegen der Buße und möglichen Wiedereingliederung für Schuldige.

11. Stärkung der Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens und Mitarbeitern von Medien, um tatsächliche Fälle zu erkennen und von falschen zu unterscheiden: Anschuldigungen von Verleumdungen, Groll von Unterstellungen, das Gerede von übler Nachrede (vgl. Papstansprache an die römische Kurie, 21. Dezember 2018).

12. Erhöhung des Mindestalters für Eheschließungen auf 16 Jahre [Anm. d. Red.: im allgemeinen Kirchenrecht für beide Geschlechter].

13. Festlegen von Vorschriften, die die Mitwirkung von Laien als Experten bei Untersuchungen erleichtern und regeln sowie in den verschiedenen Stufen kirchenrechtlicher Verfahren zu sexuellem Missbrauch und/oder Machtmissbrauch.

14. Recht auf Verteidigung: Zu schützen ist auch das natürliche und kirchliche Recht auf Unschuldsvermutung, bis ein Beweis der Schuld des Beschuldigten erbracht ist. Daher muss vermieden werden, Listen von Beschuldigten zu veröffentlichen – auch von Seiten der Diözesen -, bevor Vorermittlungen laufen und ein endgültiges Urteil gefällt ist.

15. Einhaltung des traditionellen Prinzips der Verhältnismäßigkeit der Strafe zum verübten Vergehen. Beschluss, dass Priester und Bischöfe, die des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen schuldig sind, ihre öffentlichen Ämter aufgeben.

16. Einführung von Regelungen für Seminaristen, Priesteramts- und Ordenskandidaten. Anfängliche und ständige Programme für diese zur Stärkung der menschlichen, geistigen und psychosexuellen Reife sowie interpersoneller Beziehungen und Verhaltensweisen.

17. Bei Ordens- und Priesteramtskandidaten Durchführung psychologischer Einschätzungen durch qualifizierte und renommierte Experten.

18. Festlegung von Normen, um den Wechsel von Ordens- oder Priesteramtsanwärtern von einem Seminar zum anderen ebenso zu regeln wie den von Priestern oder Ordensleuten von einer Diözese oder Kongregation in eine andere.

19. Formulierung obligatorischer Verhaltenskodizes für alle Kleriker, Ordensleute, Hilfspersonal und Freiwillige, um angemessenen Grenzen im Verhältnis persönlicher Beziehungen festzulegen. Spezifizierung nötiger Voraussetzungen für Personal und Freiwillige und Prüfung ihrer Strafregisterauszüge.

20. Bekanntmachung sämtlicher Informationen und Daten über die Gefahr von Missbrauch und seine Folgen sowie darüber, wie Anzeichen von Missbrauch erkannt werden können und wie sexuellen Missbrauchs Verdächtige angezeigt werden können. All dies muss in Zusammenarbeit mit Eltern, Lehrern, Fachleuten und zivilen Autoritäten erfolgen.

21. Es ist nötig, wo dies noch nicht geschehen ist, leicht zugängliche Einrichtungen zu schaffen, damit Opfer mutmaßlicher Delikte diese anzeigen können: Einrichtungen, die unabhängig sind, auch von den örtlichen kirchlichen Autoritäten, und aus Experten bestehen (Laien wie Geistliche), die in der Lage sind, die Sorge der Kirche gegenüber allen zu vertreten, die sich durch unangemessene Verhaltensweisen von Klerikern verletzt fühlen.

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